Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
Carlos Rafael Rodríguez und dem Parteisekretär Anibal Escalante erwachsen Che zwei gefährliche Gegner) ist die Vorstellung, dass die Utopie sogleich in der Gesellschaft verankert werden müsse, freilich nur ein Anklagepunkt unter vielen. Für sie war, wie man in inzwischen zugänglichen Berichten aus Moskau und in den von ihnen in Blättern des Ostblocks lancierten Artikeln nachlesen kann, Guevara abwechselnd »ein Anarchist«, »ein Trotzkist«, »ein romantischer Abenteurer«, »ein Mann, dessen kleinbürgerliche Vorstellungen von den Pariser Existentialisten herrühren, und der, statt sich an unsere erfahrenen Freunde im Osten zu halten, unter dem Einfluss der Hyperintellektuellen Frankreichs steht.« Che spricht von den Altkommunisten stets als von der »Kamarilla«. Diese Verächtlichkeit wird verständlich, wenn man weiß, dass beispielsweise Carlos Rafael Rodríguez (und er steht hier stellvertretend für einen Typ, den des Alten-Garde-Kommunisten!) vor der kubanischen Revolution mit Batista und anderen korrupten Präsidenten der Ära vor Castro zusammengearbeitet hatte.
Der entscheidende und schließlich wohl auch von der sowjetischen Führungsspitze als gefährlich angesehene politische Programmpunkt fällt in der Ansprache, die Guevara 1961 auf der von Präsident Kennedy inspirierten »Interamerikanischen Konferenz« in Punta del Este hält. Er sagt: »Wir können nicht aufhören, unser Beispiel, wie es die USA wünschen würden, zu exportieren, denn dieses Beispiel ist von einem Geist beseelt, der alle Staatsgrenzen überspringt... wir können nicht versprechen, dass die kubanische Idee nicht auch anderswo Wurzeln schlägt. Fidel sagt: ›Falls die sozialen Missstände fortbestehen, werden die Anden die Sierra Maestra Amerikas sein.‹«
Eine solche Ausweitung der kubanischen Revolution nach Südamerika läuft der weltpolitischen Parteilinie der Sowjets in diesen Jahren zuwider, die auf einen Status quo mit den USA abzielt.
Durch das berüchtigte Schweinebuchtunternehmen der Amerikaner im April 1961 mag Che in seinen Vorstellungen noch bestärkt worden sein. Über die Umstände, unter denen er die Invasion der vom CIA ausgerüsteten und in Sold genommenen kubanischen Emigranten auf der Insel erlebt, erzählt er:
»Ich befand mich in einer Hütte nahe der Küste und wartete auf die Ankunft dieser Burschen. Plötzlich fiel ein Schuss, und ich spürte Blut in meinem Mund. Meine eigene Pistole, entsichert, war mit dem Patronengürtel, den ich immer trug, zu Boden gefallen. Durch den Aufprall löste sich der Schuss. Die Kugel traf mich in die Wange. Um einen Zentimeter, und sie wäre mir ins Gehirn gedrungen ...«
Etwa seit dem Jahr 1961 zeichnet sich ein alternativer Kurs in den politischen Vorstellungen von Castro und Guevara ab, der seine Ursachen nicht zuletzt auch in dem unterschiedlichen Temperament und den verschiedenartigen Lebenserfahrungen dieser beiden Männer in ihrer Jugend gehabt haben mag.
Che will die Ausweitung des Befreiungskampfes auf Südamerika. Castro ist vorsichtiger, für ihn steht die Sicherung seines kubanischen Experiments durch ein geschicktes politisches Balancespiel, durch eine wechselnde Anlehnung - mal mehr an die Sowjetunion, mal mehr an China - im Vordergrund. Che ist Purist. Fidel, der illegitime Großgrundbesitzersohn mit Vorfahren aus dem spanischen Galizien, ist Realist.
Immer entschiedener hebt Che draußen in der Welt mit seiner Meinung ab.
Am 11. Dezember 1964 greift er in einer Rede vor der UNO die USA hart an. Einige Tage später erklärt er in einer Fernsehsendung mit CBS in New York, kubanische Freiheitskämpfer seien in Venezuela aktiv und würden sehr bald in jedem Land Lateinamerikas kämpfen. Am 17. Dezember verlässt er New York und reist über Kanada nach Algerien. Bei der sich anschließenden Blitzreise durch acht junge afrikanische Staaten, erklärt er öffentlich, der revolutionäre Kampf in Lateinamerika werde nun bald in das Stadium der bewaffneten Aktion treten, und sagt eine brutale Konfrontation zwischen den Völkern Lateinamerikas und den USA voraus.
Am 18. Februar 1965 verkündet er in Dar-es-Salaam: »Nachdem ich sieben afrikanische Staaten besucht habe, bin ich davon überzeugt, dass es möglich sein wird, eine gemeinsame Front im Kampf gegen den Imperialismus und Neokolonialismus zu schaffen.«
In privaten Gesprächen warnt er die afrikanischen Politiker davor, in denselben Fehler wie Kuba zu verfallen und zu enge Bindungen mit Moskau
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