Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
hat seine Auswirkungen auf die ökonomische Werttheorie. Wenn der Neue Mensch, das neue Sein von Arbeit, wichtiger ist als Nutzeffekt und Leistungsfähigkeit, dann bemisst sich der Wert einer Unternehmung nach ihrer sozialen Funktion und nicht unbedingt nach ihrem materiellen Erfolg. Konkret: als Leiter der Nationalbank hält Guevara es für unrichtig, die Bierindustrie mit größeren Investitionen auszustatten als einen Verlag für Schulbücher, nur, weil der eine Betrieb durch die größere Nachfrage profitabel ist und der andere nicht.
Nach dieser »moralischen Werttheorie« sind freilich auch gegen Zinsen gewährte Auslandskredite verwerflich. Che ist der Meinung, diese Anleihen sollten Geschenke sein - eine Forderung, die bei Kommunisten alter Schule helle Empörung auslöst und immer wieder als bezeichnend für seinen ökonomischen Dilettantismus herausgestellt wird.
Ches sozialistisch-utopisches Gesellschaftsbild zielt also vor allem auf menschliches Glück, auf Freundlichkeit, auf Solidaritätsbewusstsein, auf Beseitigung von Gier. John Gerassi schreibt in diesem Zusammenhang über den Eindruck, der sich ihm aus Gesprächen mit Guevara mitteilte.
»Che begriff mehr als andere Menschen, die ich getroffen habe, dass Liebe nicht zwischen Herr und Knecht bestehen kann. Er wusste, dass dieses Verhältnis zuerst zerstört werden müsse. Und er wusste auch, dass, ist es zerstört, sich eine neue Beziehung - die der Liebe (hier verstanden als Liebe zu den Menschen, als Brüderlichkeit) - nicht automatisch einstellt. Liebe kommt nicht aus dem Establishment, nicht von oben (lässt sich nicht verordnen), sie kann nur von der Basis wachsen - sich im Volk einstellen. Liebe, würde Che gesagt haben, ist kein Blitz, kein augenblickliches mystisches Ereignis. Es ist Anstrengung dazu nötig. Sie ist etwas, das sich ergibt, indem man ständig daran arbeitet.
Aber ehe die Menschen an ihrer Liebe (Freundlichkeit, Brüderlichkeit) arbeiten können, ehe sie Vergnügen aus dem Vergnügen der anderen schöpfen, Befriedigung daraus ziehen, sich für andere einzusetzen, müssen sie miteinander kommunizieren können. Dazu ist es notwendig, dass sie sich gleich gegenüberstehen. Ein reicher Mann, der zu einem Armen freundlich ist, bietet Wohltätigkeit, nicht Liebe. Um freundlich sein zu können, muss man den Hass zerstören, der von den Gierigen, von denen, die es nach Allmacht gelüstet, genährt wird.«
Und hier wird nun einsichtig, warum Che die Gewalt bejaht, warum er sagen konnte: »Schafft drei, vier, viele Vietnam.«
Hier wird deutlich, warum die Ausdehnung des Befreiungskampfes über Kuba hinaus, auf Südamerika, auf die gesamte Dritte Welt, für ihn nicht nur eine theoretische, sondern auch eine persönliche existentielle Notwendigkeit ist und warum sich der Zwang, entsprechend zu handeln, in dem Maße verschärft, in dem er durch seine Position Einblick in die globale Konstellation bekommt.
Es werden später, in der Botschaft an die Völker der Welt Worte fallen, in denen sich der Hass zu verfestigen scheint:
»Unsere Soldaten müssen eine wirksame, gewalttätige, selektierende und kalte Tötungsmaschine sein ... ein Volk ohne Hass kann nicht über einen Feind siegen, dessen wesentliches Merkmal seine Brutalität ist.«
Da kommen pathologische Züge ins Bild. Sie sollen nicht verschleiert werden, aber man muss sich immer die Szenen des Elends und der Unmenschlichkeit hinzudenken, die einen eher mitleidbereiten Menschen in diese Übersteigerung stießen. Es ist dies dieselbe psychologische Situation, die Brecht mit den Zeilen umschreibt:
»Auch der Hass gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser.
Ach, wir,
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit,
Konnten selber nicht freundlich sein.«
Der Mann aus Havanna
Zwei wirtschaftspolitische Forderungen Guevaras sind es, die bald das Misstrauen der orthodoxen Altkommunisten erregen, die inzwischen in Kuba in wichtige Schlüsselstellungen aufgerückt sind. Zum einen die moralische Werttheorie und die sich aus ihr ergebenden, weitreichenden Konsequenzen, zum anderen die von Che in den ersten Jahren nach dem Sieg der Revolution auf Kuba betriebene Forcierung der Industrialisierung, um so der sich nach dem Boykott durch die USA schon abzeichnenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Sowjetunion wenigstens etwas gegensteuern zu können.
Bei den orthodoxen Kommunisten (vor allem in dem Altkommunisten
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