Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
und Peking einzugehen.
In einem Interview mit einer ägyptischen Zeitung im März 1965 gibt er zwar zu, dass bei der wirtschaftlichen Entwicklung von den Kubanern selbst schwere Fehler gemacht worden sind, kritisiert aber gleichzeitig die sowjetischen Berater, die den Kubanern immer die (damalige) ČSSR als Beispiel vor Augen halten. Er schreckt auch nicht vor dem Sakrileg zurück, zu erklären, eine Stillhaltepolitik, wie sie die Sowjets in Südamerika im Zeichen der Koexistenz wünschen, sei glatter Verrat an der Revolution. Das kommt dem chinesischen Standpunkt ziemlich nahe.
Aber die Altkommunisten aus Kuba haben unterdessen schon dafür gesorgt, dass man auch in Peking Che die kalte Schulter zeigt. Bei einem Abstecher nach Peking weigert sich Mao Tse-tung, Guevara zu empfangen. Statt ihm Unterstützung zuzusichern, kritisieren die chinesischen Führer Castro heftig wegen »Mangel an revolutionärem Fortschritt in Südamerika« und beschuldigen ihn, auf den sowjetischen Pfad des Revisionismus eingeschwenkt zu sein. Maos Haltung ist eine Reaktion auf den kurz zuvor erfolgten Besuch von Carlos Rafael Rodríguez, dem alten Widersacher, der, wahrscheinlich auf Weisung der Sowjets, die Chinesen brüskiert hat. Ernesto erhält einen Eindruck von dem Ränkespiel der Großmächte, denen es nur darum geht, ihre Machtpolitik zu verfolgen, der alle anderen Erwägungen untergeordnet werden.
Dann ist da noch eine mehr private Erfahrung, die sich entscheidend auf seinen Bewusstseinszustand in diesen Monaten ausgewirkt hat.
1963 ist durch Ches Initiative von Havanna aus ein ehrgeiziges Unternehmen eingeleitet worden. Ernesto hat seinen Landsmann Jorge Masetti, der seit 1959 die kubanische Nachrichtenagentur geleitet hat, mit einigen Veteranen des kubanischen Befreiungskrieges nach Bolivien reisen lassen, um von dort aus eine Kette von Guerillagebieten aufzubauen, die als Fernziel von Peru bis nach Nordargentinien reichen sollte. Masetti mietete sich eine Farm auf bolivianischem Territorium, lehnte aber jeden Kontakt mit schon in Argentinien bestehenden oppositionellen Organisationen ab.
Zwischen dem 20. und 25. September 1963 dringen die Guerillas - es sind vorwiegend Intellektuelle und Studenten - in Argentinien ein. Doch sie werden bald von der Polizei eingekesselt. Drei der Guerilleros sterben an Hunger. Einer wird von Gendarmen in einer Baumkrone entdeckt. Er muss sich vor Raubkatzen dahin geflüchtet haben.
Eine andere Abteilung ergibt sich nach einem Feuergefecht, bei dem fünf Guerilleros gefallen sind. Die 14 Überlebenden, die in Gefangenschaft geraten, zieht man mit vorgehaltenen Gewehren an den Haaren herbei und zwingt sie, ihre Köpfe in die Eingeweide der Toten zu stecken.
Masetti hat sich unterdessen allein ins Innere des dichten Urwaldgebiets von Yuto geflüchtet. Eine Hölle voller Gestrüpp, giftiger Pflanzen und wilder Tiere, durch die man tagelang irren kann, ohne das Licht der Sonne wahrzunehmen. Er kommt nie mehr zurück. Niemand hört je wieder etwas von ihm. Der Urwald hat ihn verschluckt.
Dies alles erfährt Guevara Anfang 1965 in Paris.
Wir wissen genug über Che, um seine Empfindungen angesichts dieser Nachrichten rekonstruieren zu können. Ein Mann, für den die Übereinstimmung von Worten und Handlungen ein Lebensgesetz ist, muss zumindest unbewusst ob des grausamen Scheiterns seiner Freunde schwere Schuldgefühle gehabt haben. Warum ist er nicht dabei gewesen? Was soll diese Reisediplomatie, die er betreibt? Wie hat doch Régis Debray so treffend paradox formuliert: »Um die revolutionäre Politik nicht zu blockieren, muss man sie einfach von der Politik befreien!«
Am 14. März 1965 kehrt Che nach Havanna zurück. Fidel und Raúl Castro sind gekommen, um ihn auf dem Flughafen zu begrüßen. In ihrer Begleitung befinden sich der Altkommunist Carlos Rafael Rodríguez, Emilo Aragonés und einige Minister. Auch Aleida ist gekommen, und Roca, ein gemeinsamer Freund von Che und Masetti. Aber die Frau und der Freund können Che kaum begrüßen, denn fast fluchtartig fährt er nach einem schroffen Wortwechsel in der Empfangshalle mit Castro davon. Zwei Tage später trifft Roco Che wieder. Guevara erzählt ihm, er habe fast 40 Stunden lang mit Castro gesprochen.
Eine Woche nach seiner Rückkehr hält Che im Auditorium des Industrieministeriums einen Vortrag über seine Eindrücke in den jungen Staaten Afrikas. Danach ist er aus der Öffentlichkeit verschwunden. Der Posten des Industrieministers
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