Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
schweren körperlichen und psychischen Krise in Zusammenhang steht.
Am 16. März hat er noch einmal seinen Freund Roca getroffen und ihm davon erzählt, dass er in den letzten Tagen fast 40 Stunden unaufhörlich mit Castro diskutiert und ihm ausführlich Bericht erstattet habe. Nähere Einzelheiten über dieses lange Gespräch teilt Guevara nicht mit.
Dass solche Marathon-Diskussionen durchaus nichts Ungewöhnliches waren, geht aus dem Bericht von Ches argentinischem Freund Ricardo Rojo hervor, der erzählt:
»Ende 1959, als Castro von einer Reise durch die Vereinigten Staaten zurückkam, hatte Che eine ähnliche Situation erlebt. Er war damals der Meinung; Castro werde den Verlauf der Revolution gefährden, wenn er auf die Vereinigten Staaten baue. Er sagte es ihm freimütig und ging mit seiner Leibwache zu seiner Residenz. Solange sich Castro in dieser Krise befand, schloss sich Guevara mit seinen Freunden ein, und sie kamen erst wieder heraus, als der Führer der Revolutionsregierung diese Versuchung überwunden hatte.«
Guevara hat Rojo gebeten, einen Brief an Celia de la Serna nach Buenos Aires mitzunehmen. In diesem Brief steht auf zwei Seiten, wie das vielstündige Gespräch hinter verschlossenen Türen verlaufen ist. Bis heute ist der genaue Text dieses Briefes nicht zugänglich. Soviel aber ist bekannt:
Guevara kündigt seiner Mutter seinen Rücktritt aus der Führungsgruppe in Kuba an und teilt ihr mit, er gedenke, 30 Tage lang an der Zuckerrohrernte teilzunehmen (was, kennt man die Verhältnisse in Kuba, nicht allzu ungewöhnlich ist) und danach fünf Jahre in einer Fabrik zu arbeiten, um den Betrieb in einer der vielen Industrien, die er von seinem Ministerposten aus geleitet hat, von innen kennenzulernen.
Che gibt der Mutter zudem zu verstehen, dass sie auf keinen Fall nach Kuba reisen dürfe.
Sie antwortet mit einem Brief, den ein argentinischer Gewerkschaftler mitnehmen soll, der zu den 1. Mai-Feiern nach Kuba eingeladen worden ist. In diesem Brief heißt es:
»... jedenfalls ist es eine große Verschwendung Deiner Fähigkeiten, wenn Du fünf Jahre als Leiter eines Betriebes arbeitest. Und es ist nicht die Mutter, die dies sagt. Es ist eine alte Frau, die den starken Wunsch hegt, dass sich die ganze Welt zum Sozialismus bekenne. Ich glaube, dass Du, wenn Du tust, was Du sagst, kein wahrer Diener des Weltsozialismus sein wirst.
Wenn aus irgendeinem Grund die Wege in Kuba für Dich gesperrt sind, so lebt in Algerien ein Herr Ben Bella, der Dir danken würde, wenn Du ihm seine Wirtschaft aufbauen oder ihm als Berater zur Seite stehen würdest, oder in Ghana ein Herr Nkrumah, der dasselbe täte. Ja, Du wirst immer ein Fremder sein. Dies scheint Dein ewiges Schicksal.«
Der Gewerkschaftsfunktionär, der diesen Brief befördern soll, wird im letzten Augenblick von der Einladungsliste gestrichen, weil er Perónist ist. Er gibt das Kuvert an Guevaras Freund Rojo, dessen Aufzeichnungen wir die Kenntnis um diese Ereignisse verdanken.
Celia de la Serna liegt im Sterben. Ihre Krebserkrankung ist nach 20 Jahren jetzt im Alter wieder aufgebrochen.
Rojo verständigt sie davon, dass es mit der Beförderung des Briefes nicht geklappt hat. Sie bittet ihn, das Kuvert zu behalten, bis sich ein anderer Bote findet. Am 16. Mai wissen die Ärzte, dass Celias Tod unmittelbar bevorsteht.
Die Bindung zwischen Sohn und Mutter ist immer besonders eng gewesen. Ricardo Rojo ruft in Havanna an, um Che zu verständigen. Er erreicht aber nur dessen Frau, Aleida. Sie scheint aufgeregt, ebenfalls besorgt. Sie weiß nicht mehr zu sagen, als dass Che nicht in Havanna, wohl aber auf Kuba ist.
Rojo erklärt ihr, dass Celia nicht mehr lange zu leben hat, und bittet sie, Ernesto zu verständigen. Das werde schwierig sein, antwortet Aleida. Am 18. Mai ruft Ernestos Frau aus Havanna im Sanatorium an, in dem Celia im Sterben liegt.
Die alte Frau richtet sich im Bett auf. Das Telefongespräch geht unter in ihren Schmerzensschreien.
Am Mittag gibt Rojo ein Telegramm auf: »An den Kommandanten Ernesto Guevara, Industrieminister, Havanna. Deine Mutter todkrank, möchte Dich sehen. Es umarmt Dich Dein Freund Ricardo Rojo.«
Auf das Telegramm erfolgt keine Antwort. Am 19. Mai stirbt Celia de la Serna in Buenos Aires. Am 21. Mai veröffentlicht die Presse in Havanna die Nachricht von ihrem Tod.
»Er selbst«, so vermutet Rojo, »erfuhr es immer noch nicht. Also hatte er kein Telefon und keine Möglichkeiten, Zeitungen zu
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