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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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Eigentlich reagierte er mit seinem ganzen Körper auf das Gehörte, indem er sich streckte, dehnte und aufrichtete, dann wieder vorbeugte, alles sehr dezent, aber es teilte sich mir dennoch mit. An einer von mir besonders geliebten Stelle in Kontakte bemerkte ich an meinem Sitznachbarn, dass auch er sich kaum halten konnte vor Entzücken, sich aufrichtete, tief atmete, sich wieder zurücklehnte. Es hatte fast etwas Erotisches an sich, ich musste ihn anblicken, und unsere Augen trafen sich im Halbdunkel. Es war Liebe, Liebe auf den ersten Blick, aber nicht zueinander als Mann und Frau, sondern miteinander zur Musik. Uns war beiden klar, was uns verband, war die Begeisterung für ein beinahe nichtirdisches Erlebnis.
    Später beim Empfang sollten wir uns das auch eingestehen, denn genau dieser Mann war mir als Tischnachbar zur Linken beschert. Es war Professor Erik Tawastjerna, finnisches Klaviergenie und Sibelius-Biograf. Er wurde uns zum Freund und Begleiter während der folgenden Tage und auch im nächsten Jahr, als es uns wieder nach Finnland zog.
    So verbrachten Stockhausen und ich im Sommer 1961 unseren ersten Urlaub zu zweit, eine Auszeit von der Ehe zu dritt. Wir wohnten in einem einsamen Sommerhaus am See in der Nähe von Helsinki, das uns Tawastjerna und Alvar Aalto, der finnische Architekt und Designer, zur Verfügung gestellt hatten; Aalto selbst lebte die meiste Zeit in der Stadt. Das Haus war karg, aber familiengerecht eingerichtet. Es lag in zwanzig Meter Entfernung etwas erhöht über dem Ufer; dazu gehörte eine Sauna – holzbeheizbar – direkt am Landungssteg, wo auch ein Boot lag. Wasser holten wir aus dem See, es war sauber und klar, Fische angelten wir direkt vor der Haustür. Sogar eine Zeitung wurde sonntags geliefert, die Helsingin Sanomat . Die konnte man gut zum Grillen von Fisch verwenden. Man durchnässte zunächst kräftig das ganze dicke Papierpaket, wickelte darin dann einen großen Fisch ein und legte ihn draußen auf das Holzfeuer. Er war genau dann gar, wenn das Feuer das Papier zerfressen hatte.
    Wie die Sauna zu beheizen war, welche Nachbarn in welcher Entfernung wohnten und woher man Nahrungsmittel bekam – denn selbst versorgen konnten wir uns ja nur mit Fisch, Wasser, Pilzen, Heidel- und Preiselbeeren –, all das erklärte uns Martti Vuorenjuuri, einer der Pioniere elektroakustischer Musik in Finnland, der uns seit der Ankunft in Helsinki begleitet hatte und uns nach zwei Wochen auch wieder abholte.
    Wir waren schnell verzaubert von der Andersartigkeit des fremden Landes und wollten gern auch ein Stück Land hier besitzen. Erst auf unseren späteren Reisen merkten wir, dass die ganze Welt in unserer Erinnerung nacherlebbar blieb, dass man nicht Teile von ihr besitzen musste. Doch damals in Finnland reizte uns noch der Kauf einer kleinen Insel, die wir gemeinsam mit Professor Tawastjerna erkunden wollten. Zu jenem Ankaufsausflug wurde also ein Boot bepackt mit einer Mischung von Gegenständen, die Abenteuer verhießen: einem Riesenkochtopf, Kartoffeln, Milch, Salz, Zeitungspapier, Streichhölzern sowie einem Ersatzkanister Benzin für den Außenbordmotor, dessen Tank nur fünf Liter fasste.
    Es ging also auf lange Fahrt. Die Seenlandschaft mit Felsinseln verschiedenster Größe musste durchschifft werden, wir kamen durch kleine fjordartige Verengungen, die sich dann wieder weiteten zum nächsten See. Man musste sich schon auskennen in dieser Einöde; ganz selten tauchte einmal ein Haus auf, immer mit Bootssteg so wie das von Aalto und Tawastjerna. Noch seltener sah man einen Menschen, die Natur schien mit sich allein ganz zufrieden zu sein.
    Die sommerliche Helle, die auch nachts nicht wich, hatte etwas Überirdisches an sich. Die Sonne versank nur für etwa zwei Stunden hinter dem Horizont, der Himmel blieb taghell, doch die Vögel verstummten, die Fische sprangen nicht mehr aus dem See, der sich zur Spiegelfläche glättete, kein Windhauch war zu spüren. Das war die Nacht, eine stille, kristallene Schönheit. Dann am Horizont eine lichte Überhöhung, die Sonne ging wieder auf, die Vögel begannen zu zwitschern, die Fische rührten sich wieder, Wind kam auf, es wurde Tag. Dieses Erlebnis, jeden Tag von Neuem beobachtet, bauten wir in die Originale ein. Dort ist es die Szene der »Verstummung«: Das ganze Geschehen auf der Bühne hält inne, die Musik bricht ab, es ist eine Dornröschenszene, nur eine Minute lang, dann nimmt alles wieder seinen Lauf.
    Nach ungefähr einer

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