Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Würgegriff von Benno, fasste nach dem Schlagstock, den er seit dem letzten Überfall auf mich immer bei sich trug, und schlug wild um sich. Er traf Benno am Bein, der daraufhin laute Schmerzensschreie ausstieß. Karlheinz raffte sich auf, Benno lag am Boden, ich wollte mich nach vorne drängen, aber die anrückende Polizei, die die Sekretärin geistesgegenwärtig herbeigeholt hatte, hinderte mich. Jeder der drei Polizisten führte einen von uns – ich gehörte auch dazu – zum Wagen, und sie brachten uns aufs Revier. Für Benno musste ein weiteres Polizeiauto angefordert werden, denn Stockhausen weigerte sich, mit diesem Unmenschen, wie er ihn nannte, in einen Wagen zu steigen. Wir wurden verhört. Benno gestand, dass er den Angriff begonnen hatte, der Grund dafür sei ich, und schon brüllte er wieder los. Karlheinz durfte schließlich gehen. Auf die Frage, ob er Anzeige erstatten wolle, sagte er: »Nein, wenn man diesen unberechenbaren Menschen auch anders stoppen kann.«
Benno hatte sich nun wieder im Griff. Seine schwefelgelbe, fast stinkende Wutaura hatte sich verzogen. Er humpelte an mir vorbei mit den Worten: »Mary, verzeih mir«. Wie oft hatte ich das von ihm zu hören bekommen, während unserer sieben von seinen Wutattacken geprägten Jahre!
In dieser Zeit hatte ich zum ersten Mal ein Erlebnis, das die Wissenschaft als außerkörperliche Erfahrung beschreibt. Im Verlauf einer Attacke Bennos war ich zunächst zufällig, also nicht von mir angestrebt, aus meinem malträtierten, verprügelten Körper gewissermaßen herausgerutscht. Es war wohl eine Verzweiflungsreaktion. Ich merkte, dass ich mich sozusagen über mir selbst befand, von oben zuschauen konnte, und da hatte ich diese stinkende, gelblich grüne Wolke zum ersten Mal wahrgenommen. Sie besetzte Benno regelrecht, und ich stellte fest, dass ich die Ausbreitung der Wolke durch meine Gedanken beeinflussen konnte. Es kam darauf an, nicht mit Angst oder eigener Wut zu reagieren, sondern zu beschwichtigen, zu beruhigen, ja zu lieben, die Schreckenswolke und damit Wut und Verzweiflung wegzulieben. Dadurch konnte ich den Schmerz lindern, wenn ich auch erkennen musste, dass das Problem auf Dauer so nicht zu lösen war. Das zunächst zufällige Entweichen aus meinem Körper wurde mir schließlich zur bewussten Übung, wenn es ihn wieder einmal packte. Und nur dadurch hatte ich diese sieben Jahre überhaupt aushalten können.
Schließlich durfte auch ich das Polizeipräsidium verlassen und flüchtete zu Karlheinz und Doris, die während der Ferienkurse im Schloss Kranichstein wohnten. Dort lag der Schlagstock auf einem Stuhl. Stockhausen, der gerade seine von der Straße und dem Kampf verschmutzten Sachen wechselte, sagte vorwurfsvoll: »Warum hast du nicht geschossen? Er hätte mich umbringen können. Er wird uns noch alle töten. Vorher gibt er keine Ruhe.«
»Ich konnte nicht«, antwortete ich betreten.
Da rief er: »Wieso? Das wäre Notwehr gewesen. Dir wäre nichts passiert, du wärst freigesprochen worden. Das war doch die Chance.«
An Notwehr oder dergleichen, an mich als Angeklagte, als Verurteilte oder Nichtverurteilte hatte ich noch gar nicht gedacht. »Nein, Karlheinz, ich konnte nicht und kann es nicht und werde es nie können.« Ich legte meine Pistole zum Schlagstock auf den Stuhl. Wir hatten uns noch kaum von dem Schrecken erholt und zitterten am ganzen Leib.
Da griff Doris behutsam ein: »Ich verstehe Mary. Ich hätte es auch nicht gekonnt.«
Sie beschwichtigte ihn. Schießen sei nicht die Lösung, wir müssten das anders schaffen. Nachdem wir uns langsam beruhigt hatten, fanden wir wieder zueinander, spürten, dass wir durch Benno eine Schicksalsgemeinschaft geworden waren, und erneuerten unseren Schwur füreinander. Ich rechnete es den beiden hoch an, dass sie mich all die Monate beschützt und mich nicht Bennos Zorn ausgeliefert hatten. An jenem Nachmittag hätten sie mich fallen lassen können, es wäre eine normale Reaktion gewesen zu sagen, nun ginge es ihnen zu weit. Aber sie hielten mich, das war Treue.
Nach außen erregte unsere ménage à trois im katholischen Köln der noch sehr konservativen frühen Sechzigerjahre aber natürlich Anstoß. Wir mussten uns immerzu rechtfertigen, vor Doris’ Verwandten, auch vor unserem Freundeskreis, der sich in Befürworter und Gegner unserer Beziehung spaltete. Unverständnis brachten uns auch Freunde entgegen, die sich auf Bennos Seite schlugen, wie zum Beispiel Heinz-Klaus Metzger oder
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