Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Nähe. Und so ging ich mit ihm in das Studio des französischen Objektkünstlers Arman, wo Pontus während seines New-York-Aufenthalts wohnte. Das Studio stank nach Polyester, mein Frischkäse wäre dagegen harmlos gewesen. Wir tanzten weiter, sangen die noch in uns schwingenden Melodien nach, berührten uns aber sonst nicht. Ich tat nur das, wovon ich wusste, dass ich es Karlheinz würde erzählen können, ohne mich zu schämen.
Gegen Morgen, als Pontus merkte, dass ich seinem Begehren nicht nachgeben würde, fragte er: »Ist es, weil du jemanden liebst, mit dem du nicht zusammen sein kannst?« Ich nickte. Er hatte meinen inneren Konflikt bemerkt, hatte gespürt, dass ich jemandem treu sein wollte, dass ich nur bei ihm war, weil sich auch in mir ein Bedürfnis nach Nähe regte. Er sagte: »Du bist wunderbar. Ich respektiere das.«
Wir schliefen ein, aneinandergeschmiegt, sanft, ohne Dra matik. Und am nächsten Morgen, bevor wir mit dem Bus uptown fuhren, wollte er mir in einem Antiquitätenladen ein Schmuckstück zum Andenken besorgen. Ich wehrte ab: »Das ist nicht nötig. Diese Nacht wird mir unvergesslich bleiben.« Und mit einem Kuss – nur auf die Wange gehaucht – verließen wir einander.
Einige Tage später sah ich Pontus Hultén noch einmal. Ich fuhr mit dem Greyhound-Bus nach Washington, wo ein Abend mit der Merce Cunningham Dance Company und anderen freien Tanzgruppen stattfand, den Robert Rauschenberg als Kostüm- und Bühnendesigner initiiert hatte. Jemand hatte versehentlich eine Flasche Cola auf der Tanzfläche fallen lassen. Ich ergriff einen Lappen aus dem Loft, ging auf die Bühne und begann, die Pfütze aufzuwischen und die Scherben aufzulesen. War das vielleicht schon ein Teil der Show, fragten sich die Zuschauer. Publikumsbeteiligung war bei Happenings zu jenem Zeitpunkt noch nicht üblich. Und so sagte der schwedische Elektroingenieur Billy Klüver mir später, was für ein köstliches Intermezzo das gewesen sei: die Scherben, Cola, ich aus dem Publikum mit meinen hohen Schuhen, meinen Spitzenstrümpfen, dem rosa Kostüm und meinen langen blonden Zöpfen … Fantastisch!
Von Klüver erfuhr ich nun auch etwas über die Bedeutung Hulténs in der Kunstszene. Er selber war Forscher, arbeitete für die Bell Laboratories und unterstützte bedeutende Künstler wie Jean Tinguely, Jasper Johns oder eben Rauschenberg als technischer Berater bei ihren Installationen. Er gründete 1966 die Gesellschaft EAT – Experiments in Art and Technology –, die die Zusammenarbeit von Künstlern und Ingenieuren förderte. Die Ingenieure halfen uns, die technischen Probleme zu lösen, die bei unseren immer komplizierteren Projekten auftraten. Sie inspirierten uns durch ihre Forschung oft erst dazu, deren Ergebnisse künstlerisch einzusetzen. Und umgekehrt: Wenn sie uns mitteilten, woran sie gerade tüftelten, dann fiel uns Künstlern dazu manchmal Gutes ein, gerade weil wir nicht streng logisch dachten, sondern meist intuitiv arbeiteten und uns in ihr Problem einfühlen konnten, auch wenn wir von der Sache eigentlich nichts verstanden.
Mir verhalf Billy Klüver durch seine Position bei Bell Laboratories zu Verspiegelungen meiner optischen Gläser. Man sah zum Beispiel bei halbdurchsichtiger Verspiegelung das un ter der Linse Gezeichnete, aber sah sich zugleich selbst schemenhaft im Spiegel. So überlagerte das eigene Spiegelbild wie eine Lasur die darunterliegenden optischen Mitteilungen. Der Betrachter wurde Teil des zu Betrachtenden – »Erkenne dich selbst«, Publikumsbeteiligung auf subtile selbstreflexive Weise. Es war eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit.
Am nächsten Tag fuhr ich mit Billy und seiner Frau Olga zurück nach New York. Im Auto saßen auch Pontus und Trisha Brown, eine der Tänzerinnen. Unterwegs hielten wir an einem See. Wir picknickten im Wald und fuhren Boot. Mir wurde klar, dass Pontus die Nacht wohl mit Trisha verbracht hatte. Die typische Stimmung nach ausgelebter Begierde umgab sie, stumm, fast melancholisch. Und doch warf mir Pontus wieder Blicke zu. Ich verschwand im See und winkte vom anderen Ufer herüber. Erst nach einer Stunde hatte ich mich genügend abgekühlt, um zurückzukehren.
Warum gelang es mir nicht, reine Freundschaften mit Männern zu haben? Warum erlosch ihr Interesse an mir, sobald ich mich als Frau verweigerte? Schon oft hätte ich lieber ein Mann sein wollen, nur um der Freundschaft zu anderen Männern willen. Jahre später, als Pontus Hultén schon mit
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