Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
ich uns wieder viele Briefe und zum ersten Mal stritten wir uns auch per Brief. Das Thema war wieder einmal die Pop-Art. Sie war ihm zu banal, zu oberflächlich, ein Verrat geradezu an den errungenen Freiheiten der abstrakten Kunst. (Eigentlich müsste ich sagen, der gegenstandslosen Kunst, denn es gab ja in den Motiven nichts Konkretes mehr, von dem es zu abstrahieren galt, sondern nur totale Neuschöpfung, Farbe, Form, Raum.) Stockhausen warf den Popkünstlern vor, zum Gegenstand zurückzukehren, zum Gesicht oder zum Stillleben, denn was sei Andy Warhols Waschmittelkartondarstellung denn anderes?
Ich entgegnete immer wieder, gerade die Banalität der Gegenstände hervorzuheben, sie dann ästhetisch zu überhöhen und mit Ironie und Dialektik zur Diskussion zu stellen, sei doch das Anliegen. Viele Popkünstler, in Deutschland etwa Wolf Vostell, waren zuvor Grafiker gewesen, und ein guter Grafiker musste natürlich figürlich zeichnen können. Diese Fähigkeit floss dann mit in ihr Œuvre ein, als sie sich entschlossen, nur noch Künstler zu sein. Stockhausen war leider nicht zu überzeugen, er meinte, ich würde in die Bilder zu viel hineingeheimnissen, sie seien einfach seicht und oberflächlich. Eine Kinoplakatwand sei ja auch kein wirkliches Kunstwerk. Doch ich ließ mich nicht beirren. Ich hatte ein Gespür für Authentisches, das war für mich das wichtigste Kriterium bei der Beurteilung von Neuem in der Kunst. Ich war mittendrin in New York, nahm teil und genoss es. Nam June Paik, der koreanische Freund aus Kölner Tagen, war inzwischen auch hier gelandet – ich hatte ihm ja schon 1962 aus Amsterdam telegrafiert: »Da, wo Rauschenbergs Ziegenbock als Kunst akzeptiert wird, da müssen wir hin.«
Robert Rauschenberg hatte in diesem berühmten Werk Monogram eine Ziege ausgestopft, sie mit Farbe bemalt, ihr einen Autoreifen umgehängt und sie auf ein am Boden liegendes Bild gestellt. Es war sein Anliegen, Alltagsgegenstände als Kunstmaterial zu verwenden. Er war der Meinung, dass ein Bild besser sei, wenn Elemente der wirklichen Welt darin verarbeitet werden. Im Grunde hatte so etwas natürlich schon Kurt Schwitters gemacht, der, wenn er mit dem Fahrrad durch die Landschaft fuhr, oft irgendetwas entdeckte, zum Beispiel einen interessanten Abfallhaufen, dann einen leeren Rahmen davorhielt und sagte: »Ah, das ist ein echter Schwitters!« Schwitters war also eigentlich einer unserer Vordenker, und die frühen Arbeiten von Rauschenberg sind seinen Werken sehr ähnlich. Der Geist, der damals in der Luft lag, hat viele Künstler inspiriert, so erklärt sich das simultane Entdecken und Erfinden.
Stockhausen schätzte die Arbeiten von Robert Rauschenberg und Jasper Johns, die inzwischen als Bahnbrecher der Pop-Art gefeiert wurden, ihre Nachfolger waren ihm jedoch zu banal.
Paik musste in New York als Künstler erst einmal ankommen. Ich versuchte, ihn bei Bonino unterzubringen, was mir auch gelang. Später bemerkte er dazu: »Mary hat mir mein Ticket nach uptown in die besseren Kreise verschafft.« Bonino gab Paik drei Ausstellungen, verkaufte allerdings so gut wie nie etwas von ihm. Doch er erhielt durch Paiks erste Videoinstallationen und TV -Verfremdungen eine glänzende Presse, und das zählte in New York für seine noch junge Galerie zunächst mehr als Verkäufe.
Ich lernte Charlotte Moorman kennen, eine Cellistin für klassische Musik, die 1963 das New Yorker Avantgarde-Festival gegründet hatte, ein offenes Forum für experimentelle Musik und Happenings. Sie sollte später eine enge Mitarbeiterin von Paik werden und mit ihm auf Tournee gehen. Charlotte richtete das Festival nun zum zweiten Mal aus, und in diesem Rahmen plante ich, mit ihr die Originale von Stockhausen in der Judson Hall, einer kleinen Konzerthalle gegenüber der Carnegie Hall, erneut aufzuführen. Da Stockhausen selber nicht kommen konnte, wollte ich ihr bei Regie und Durchführung helfen.
Unterstützt wurden wir in unserem Vorhaben von Stockhausens Mitarbeiter David Behrman. Er übernahm die Übersetzung der Partitur. Allan Kaprow konnten wir für die Regie gewinnen, er sagte, es sei das erste und einzige Mal, dass er das Happening eines anderen Künstlers realisiere. Damit schien die Sache so gut wie gesichert. Er bekam die Zustimmung und volles Vertrauen von Stockhausen, die beiden hatten sich einige Monate zuvor durch mich kennengelernt. Karlheinz schlug ihm jedoch vor, diesmal noch mehr »Originale« zu versammeln, um sich von der
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