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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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drängten zum Ausgang. Da ich vorne saß, konnte ich kriechend die Stinkbombe erreichen und sie mit den Füßen durch den Seiteneingang auf die Straße treten. Das Publikum wurde evakuiert. Edgar Varèse, der ganz vorne als Ehrengast platziert worden war, bekam eine heftige Hustenattacke und musste beim Hinausgehen gestützt werden. Wir kündigten an, dass wir nach einer zehnminütigen Lüftungspause weitermachen würden. Das Publikum reagierte teils irritiert, teils amüsiert. Manche dachten, dass das alles vielleicht beabsichtigte Elemente des Happenings waren. Auf der Straße standen immer noch die Demonstranten, und so interpretierte man den Eklat entweder als innerkulturelle Angelegenheit oder als bloßen Streit zwischen Künstlern. Brown, der Maler, war inzwischen verschwunden, er erschien auch nicht mehr zur nächsten Aufführung. Der japanische Künstler Ay-O, der in New York lebte, übernahm von da an seine Rolle.
    Die Presse war begeistert, sie vermutete einen Publicitygag des deutschen Musikers. Großartig, schrieben die Kritiker, Stockhausen habe sein eigenes Werk bestreikt, welch eine fabelhafte Idee! So endete die Attacke auf das Werk mit einem Sieg: eins zu null für Stockhausen.
    Von nun an gab es jeden Abend irgendeine Überraschung, doch manchen Sabotageakt konnten wir noch abwenden. Das Stück sollte ja ständig neue Elemente bieten, nach Neuem zu suchen sahen damals die westlichen Künstler sowieso als das wesentlichste Kriterium an, nach dem künstlerische Produkte zu bewerten seien, während man es im Osten mit dem Bewahren hielt, dem so genau wie möglich Nachahmen des Traditionellen.
    Ein neues Element des Stücks – zumindest für damalige Zeiten relativ neu – war, neben einem Vogelkäfig mit Tauben und einem Aquarium mit Fischen auch lebende Großtiere auf der Bühne erscheinen zu lassen. In Köln waren es ein Hund und ein Äffchen gewesen, in New York hatten wir einen größeren Affen vorgesehen, der von einer Tierpflegerin im Taxi vom Bronx-Zoo abgeholt und nach dem Auftritt dorthin zurückgefahren wurde. An einem Abend aber kam das Taxi nicht. Das Stück näherte sich der Tierszene, doch der Affe war immer noch nicht da.
    Ich vermutete wieder einen Komplott, ging hinaus auf die Straße, um vielleicht irgendjemanden zu finden, der uns ein Tier zur Verfügung stellen könnte. Ich traf auf eine kleine Frau mit Hund, sie sah aus wie eine alternde Puppe, bunt angezogen, gepudert und geschminkt, und trug Turnschuhe, dazu aber einen Blumenhut – so wilde Kombinationen gab es damals nur in Amerika. Ich bat sie, für fünf Minuten mit mir ins Theater zu kommen, bei uns sei ein Tier ausgefallen. Sie willigte ein, und ich geleitete sie durch den dunklen Gang auf die Bühne. Ihre Augen konnten sich nicht so schnell an die Dunkelheit gewöhnen, und so trat sie ganz nah an die erste Sitzreihe vor, um die Zuschauer zu betrachten. Der Hund riss an der Leine und kläffte, es war ein Pinscher, der alten Dame nicht unähnlich. Dann hob er irgendwo das Bein, humpelte weiter, hob das Bein erneut – die Szene war voll gelungen, sie hätte nicht besser sein können.
    Ich wollte die Dame hinausbegleiten, doch sie wünschte noch im Theater zu bleiben, und so nahm sie hinter den Zuschauern neben mir auf einem Tisch Platz. Sie fragte mich dann in voller Lautstärke: »Was macht ihr hier eigentlich?« Wieder Gelächter aus dem Publikum. Ich versuchte zunächst, flüsternd zu antworten, doch sie schien schwerhörig zu sein: »Was haben Sie gesagt?« Der Tontechniker James Tenney hatte das Musiktonband angehalten, Max Neuhaus improvisierte auf dem Schlagzeug. Und da die Unterbrechung nun schon passiert war, erklärte ich ihr laut, was wir da so trieben. Sie rief erfreut aus: »Oh, in den Zwanzigern haben wir so etwas in Mailand die ganze Zeit gemacht.« Tosender Beifall. Sie entpuppte sich als Dada-Künstlerin aus Mailand, die seit über dreißig Jahren in New York lebte. So endete also die Sabotage des Affenauftritts in einem zwei zu null für Stockhausen. Der bestochene Taxifahrer hatte die Tierbetreuerin samt Affen eine Stunde lang im Kreis herumgefahren – wie viel das Maciunas wohl gekostet hatte?
    Charlotte Moorman und ich rechneten jeden Tag mit weiteren Einfällen unserer Widersacher. Ihrem Instinkt folgend, hatte Charlotte eine Kopie des Tonbands anfertigen lassen und ein weiteres Magnetofon in einem anderen Raum platziert, denn möglicherweise waren ja unsere eigenen Techniker in das Komplott

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