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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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ihn nicht überzeugen können. So gingen die Berichte zusammen mit den Liebesbriefen hin und her, jeden Tag einer. Wir vermissten uns, und ich reiste im Herbst 1964 nach Deutschland, um bei der Innengestaltung des Kürtener Hauses zu helfen. Der Bau zog sich in die Länge, einige Handwerker hatten aufgegeben – sie waren mit der sechseckigen Form des Hauses, in dem es keinen rechten Winkel gab, überfordert. Wir bewohnten inzwischen eine Holzsauna, die schon aufgestellt war, und benutzten Wasser aus der Regentonne. Im Winter, als es in der Sauna zu kalt wurde, flog ich zurück in die USA .
    Nach unseren Trennungen waren wir oft bedrückt und traurig, schon wieder ohne den anderen zu sein. Karlheinz schien es noch schwerer zu fallen als mir. Ich ging zurück zu meinen Bildern und arbeitete meine Gefühle hinein, er konnte das nicht. Später schrieb er mir einmal: »Du machst unsere Trennungen unsterblich durch die Meisterwerke, die Du daraus schaffst. Mir gelingt das nicht. Klavierstück IX, Momente , Mikrophonie , Hymnen und Stimmung sind in Deiner Gegenwart entstanden. Du brauchst mich nicht so gegenwärtig wie ich Dich.«
    Und so kam er schon im Frühjahr 1965 wieder in die USA , um mich zu besuchen. Ich hatte inzwischen ein Zimmer im Haus meiner Freundin Hala in Glen Ridge, New Jersey, bezogen, sie hatte mir dort auch einen Tisch in ihrem Atelierraum zur Verfügung gestellt. Stockhausen verbrachte bei diesem Besuch ebenfalls einige Wochen in Halas Haus. Für mich war es eine Alchemistenstube, er teilte meine Meinung nur bis zum A – Albtraum nannte er es. Die Treppe nach oben ins Atelier war nur auf jeder zweiten Stufe begehbar, und das auch nur in der Mitte, genau einen Fußbreit. Der restliche Platz war von Bücherstapeln bedeckt. Karlheinz bekam sogar eine kleine Arbeitsstube mit Tisch und Stuhl, um komponieren zu können. Es entstand Mikrophonie II . Ich erarbeitete inzwischen meine zweite Einzelausstellung, die für dieses Frühjahr 1965 bei Bonino geplant war. Ich befand mich also bereits in der nervenaufreibenden Endphase – Stockhausen meinte, ich sei schlimmer als er vor einer Uraufführung.
    In dieser Zeit waren eines Tages einige Partiturseiten von Mikrophonie II zum Fenster des Arbeitszimmers hinausgeflogen und nicht wiederzufinden. Karlheinz war verzweifelt, er nahm den Vorfall wieder als böses Omen. Allerdings war er erleichtert, dass nicht die Urskizzen für das Gerüst, also Zeitplan und Formschema, verloren waren, sondern nur Zusatznotierungen. Er klagte: »Jetzt muss ich mich wieder hineinversetzen in den Zustand des Inspiriertseins, ich darf nicht versuchen, mich zu erinnern, was ich auf den Blättern notiert habe, ich muss so tun, als hätte ich das vergessen.« Hier zeigte sich seine typische Vorgehensweise: Zunächst schuf er Vorlagen, Gerüste und Schemata, an die er sich hielt, und wenn er diese dann näher ausführte, öffneten sie ihn zu musikalischen Einfällen, zu innerlich Gehörtem. Oft, wenn er mit einer Komposition geradezu rang, fragte er sich: »Was will das Stück von mir?«
    Das war nicht bei allen Neuerern der Musik so, bei vielen entstand die Musik nicht durch inneres Hören, sondern durch das Befolgen von Regeln und Anweisungen. Karel Goeyvaerts, ein Komponist und enger Freund Stockhausens aus der frühen Darmstädter Zeit, dem Stockhausen sicher einiges an Anregungen zu verdanken hatte, bevor er selber zum führenden Vertreter der neuen Musikrichtung wurde, forderte gar, sich jeglichen persönlichen musikalischen Geschmacks zu enthalten. Er bezeichnete es als Ziel seiner Arbeit, eine »selbstlose Musik« zu erschaffen. Er sah es als eine Art Gottesverehrung an, sich ganz zurückzunehmen, damit die reine Musik – stellvertretend für Gott – sich manifestieren möge.
    Nachdem meine Ausstellung Paintings and Constructions bei Bonino Anfang April 1965 eröffnet worden war, hielt Stockhausen dort an einem der folgenden Abende einen Vortrag und spielte eine Auswahl seiner Musik vom Band ab, die er meinen Werken zuordnete und umgekehrt. Die Elite der Avantgardeszene war an diesem Abend in der Galerie versammelt. Stockhausens Musik kam gut an, und meine Werke hatten wieder eine sehr gute Presse erhalten. Die Kunstkritikerin Emily Genauer, Pulitzerpreisträgerin und damals eine wichtige Person im Kulturbetrieb, schrieb allerdings im New York Herald Tribune skeptisch über Stockhausens Vergleiche. Sie kritisierte den Hang der Europäer, alles theoretisch zu

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