Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
anschließend Tanz, Wein und Saki wurden reichlich angeboten, Reden gehalten. Mir fiel eine kleine in einen Kimono gekleidete Japanerin auf, eine schöne Frau. Sie hing an seinen Lippen, er an ihren Augen, die beiden konnten ihre Zuneigung nicht verbergen. Das war also die Ursache für Stockhausens Unruhe, und mein Gefühl riet mir, dagegen nicht anzugehen.
Ich gab auf und ergriff die Flucht nach vorn, so wie ich es auch im Traum immer zu tun pflegte. Auf diese Weise hatte ich bisher doch alles überstanden. Als der Abend zu Ende war, fand ich die Vorstellung, jetzt mit Stockhausen ins Hotel zu gehen, unerträglich. Ich wollte allein sein, meine mögliche Abreise überdenken, zurück zu meinem Kind, und deswegen meine Mutter anrufen. So stieg ich in ein wartendes Taxi und bedeutete Karlheinz und Aiko, seiner japanischen Geliebten, sich ein zweites zu nehmen: »Ich warte morgen im Hotel auf dich.« Die beiden begriffen, akzeptierten, und wir fuhren getrennt davon. Im allgemeinen Trubel hatte keiner etwas davon mitbekommen, zumindest ließ sich niemand etwas anmerken.
Es war mir bei Japanern schon vorher aufgefallen, dieses diskrete Wegschauen. In unserem Hotelzimmer waren wir tags zuvor von einem Hoteldiener überrascht worden; wir waren unbekleidet und hatten offensichtlich sein Klopfen überhört. Ohne zu erschrecken ging er, als hätte er uns nicht gesehen, ins Bad, tauschte dort die Handtücher aus und verschwand auf leisen Sohlen wieder, ohne irgendein Zeichen von Irritation in seinem Gesicht. Meisterhaft nannte Stockhausen diesen Umgang mit peinlichen Situationen – einfach darüber hinwegsehen.
Ich kam also allein zurück ins Hotel. Wie immer nach schwierigen Entscheidungen überkam mich Erleichterung. Es war geschafft, ich hatte mich zu der einzigen Lösung, die mir eingefallen war, durchgerungen. Am Telefon berichtete mir meine Mutter, dass Julika prächtig gedeihe. Sie wollte mir meine Schuldgefühle nehmen und hoffte, ich würde mir eine schöne Zeit mit Karlheinz machen, da wir ja nun endlich einmal wieder zu zweit seien. Genieße es, mein Kind, hörte ich sie sagen. Ach, wenn sie wüsste …
Für den nächsten Morgen war verabredet, dass wir uns mit einer Japankennerin auf eine Reise in den Norden des Landes begeben sollten. Die Japankennerin, stellte sich heraus, war Aiko. Sie stammte aus einer alten japanischen Familie, gehörte zur Oberschicht, und es wurde ihr überall Zutritt gewährt. Sie kannte fast alle Tempel und sprach perfekt Englisch, war also die ideale Besetzung – auch für eine neue ménage à trois . Damit war dann alles wie gehabt, nur diesmal mit einer vertauschten Rolle für mich. Ich war nun die alte und Aiko die neue Gefährtin. Nun galt es zu beweisen, dass ich den Wechsel von der Geliebten zur Quasiehefrau, deren Position ich ja, obwohl noch nicht verheiratet, jetzt innehatte, würdig meistern konnte.
Ich hatte mich entschieden, kein Drama zu machen, doch nicht gleich zurückzufliegen und die vereinbarte Reise anzutreten. Ich war allerdings in etwas verletzter, abwartender Stimmung, als Karlheinz mich vom Hotel abholte. Er blickte mich nur an, zu sprechen wagten wir beide nicht. Diese neue Phase unseres Lebens musste behutsam angegangen werden; wir befanden uns sozusagen in luftleerem Raum, auf absolutem Neuland, wo man sich nun erst einmal orientieren musste.
Im Aufzug nach unten suchte Karlheinz wieder meinen Blick. Es kostete mich einige Überwindung, doch schließlich sah ich ihn an. Im Foyer wartete Aiko, diesmal in einem andersfarbigen Kimono. Es fiel mir nicht schwer, ihr sozusagen schwesterlich zuzunicken. Sie traf keine Schuld. Frauen, die wie zum Pflücken bereite Blüten herumstehen, gibt es überall. Es ist der Mann, der wie eine Hummel von einer zur anderen fliegen möchte. Ich signalisierte also meiner Blütengenossin, dass alles in Ordnung sei.
Wir stiegen in ein Taxi, es brachte uns zu einem Platz in der Nähe des Bahnhofs. Von dort kam uns geradezu eine Flutwelle von Menschen entgegen. Ich blieb bewegungslos stehen – wie ein Vogel- oder Fischschwarm kam mir die Menge vor, so schnell, dabei geschickt, ja elegant in ihrem Fluss, als bildete sie eine Einheit. Ich konnte erst weitergehen, als alle vorbei waren. Aiko lachte. Ja, da sei gerade der Express aus dem Norden angekommen.
Am Bahnhof bestiegen wir den Superschnellzug in Richtung Norden. Wir saßen uns schräg gegenüber, ich träumte zum Fenster hinaus. Reisfelder, ferne Bergsilhouetten glitten
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