Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Kompositionsaufträge auszuführen. Wir hatten eigentlich in Japan unser erstes Kind zur Welt bringen und dort auch heiraten wollen. Doch dann hatte mich der Mut verlassen, ich wollte mein Baby nicht in einem mir so unbekannten Land bekommen und entschied mich, noch bis nach der Geburt in Deutschland zu bleiben. Meine Mutter sowie meine Schwester Suse und ihr Mann würden mir beistehen. Karlheinz musste also vorausfahren, Tokio drängte. Ich würde inzwischen im fertiggestellten Kürtener Haus wohnen und dann nachkommen.
Aber das Baby ließ weitere drei Wochen auf sich warten. Als auch noch ein Schneesturm den Berg einschneite, auf dem unser Haus stand, und kein Taxi mehr den steilen Weg hinaufkam, entschied ich mich zum Umzug nach Köln zu meiner Schwester. In der folgenden Nacht, am 22. Januar 1966 um ein Uhr morgens, wurde Julika geboren. Es war schmerzhaft. Ich hatte zwar einige Texte über Atemtechnik beim Gebären gelesen, aber eben nur gelesen und nicht geübt. Meine Bettnachbarin gab mir zumindest noch eine kurze Anleitung, bevor ich in den Kreißsaal geschoben wurde.
Dort lag ich nun, direkt neben mir jammerte und schrie eine Italienerin so erbärmlich wieder und wieder madre mia , che vita dura , dass ich über ihrem Wehgesang die eigenen Schmerzen vergaß. Ich atmete, wie gerade gelernt, brav in jede Wehe hinein und nutzte die von der Natur so gnädig eingerichteten Pausen dazwischen zum Ausruhen und Luftholen, um den Schmerz zu vergessen, die Freude zu empfinden über unser erwartetes Kind. Und dann ging alles ganz schnell.
Nun war es auf den Tag genau fünf Jahre her, seit ich Doris versprochen hatte, selber noch keine Kinder zu bekommen. Plötzlich kam mir eine Vermutung: Hatte Jule etwa ihre Geburt verzögert, immerhin um fast drei Wochen, wegen dieses Versprechens? Um die fünf Jahre voll werden zu lassen? Es war dann Doris, die mich aus der Klinik abholte und nach Hause fuhr. Meine Mutter kam aus München, um mir in der ersten Zeit mit dem Baby zu helfen.
Aber nun wollte ich ja mit Julika eigentlich sofort nach Japan zu Karlheinz reisen. Doch schon auf dem Standesamt hatte es Schwierigkeiten gegeben: Meine Schwester Suse, die die Namen der Neugeborenen eintragen lassen wollte, stieß auf Widerstand. Rapunzel? Nein, unmöglich. Es sei doch schon schlimm genug, dass das arme Kind unehelich geboren sei! Suse wählte also den Namen Julika, als zweiten den unserer Mutter Laura, und als letzten durfte sie dann Rapunzel immerhin doch noch anhängen. Und einen Pass für die Kleine? Reise nach Japan? Das melde man sofort dem Jugendamt. Prompt ließ dieses Jule dann nicht mitreisen. Ein immer noch wirksames Gesetz aus dem 19. Jahrhundert verbot die Ausfuhr von unehelichen Kindern nach Asien. Man wollte verhindern, dass sie womöglich dort verkauft würden.
Es war schrecklich, aber meine Mutter erklärte sich sofort mit Freude bereit, Jule zu sich nach München zu nehmen und sich inzwischen dort um sie zu kümmern, damit ich die geplante Reise nach Fernost machen konnte. Auch die Heirat war ja dort vorgesehen. Ich fühlte mich zerrissen – Rabenmutter, die ihr erstes Kind alleinlässt, oder Rabenfrau, die ihren Mann alleinlässt?
Unser Wiedersehen in Tokio nach nun vollen drei Monaten fiel seltsam enttäuschend aus. Er freute sich zwar über das Kind, äußerte aber starkes Bedauern darüber, dass es kein Sohn sei – für mich ein Schock. Im Hotel in Tokio kamen mir auch unsere Umarmungen merkwürdig fremd vor. Karlheinz weinte nachts im Traum, und ich ahnte, was ihn quälte: Nun hatte er wieder eine Frau an ihr Kind verloren. Ich war als seine Geliebte nicht mehr dieselbe, körperlich wie seelisch. Und er hatte recht: Meine Gedanken waren gar nicht bei ihm, sondern bei meinem zurückgelassenen Baby.
Das Betörende der so neuen Welt, die Stadt, die Menschen, die Tempelbesuche lenkten mich dann ab. Für Stockhausen brachte das Eintauchen in die fremden Traditionen eine ungeheure Veränderung. Er lebte wie in einem Traum, war von allem Japanischen unendlich fasziniert, saugte jede Kleinigkeit in sich auf. Doch irgendetwas bedrückte ihn. Nein, hier könnten wir wohl auch nicht heiraten.
Der Grund dafür sollte sich mir bald zeigen. Wir waren vom deutschen Botschafter zu einem Empfang zum Kirschblütenball eingeladen worden, zusammen mit zahlreichen Künstlern und Honoratioren – Stockhausen war nun einmal deutsches Kulturexportgut. In der vornehmen Residenz gab es ein prächtiges Buffet,
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