Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
großes Kloster aus dem 17. Jahrhundert gekauft, das Couvent d’Alziprato, das er für seine Bedürfnisse umgestaltete. Dorthin lud er uns 1969 ein. Er war eine souveräne Spielerfigur, Maurice Fleuret dagegen oft beißend ironisch. Karlheinz beherrschte die französische Sprache gut genug, um mir die Nuancen vielleicht entgangener Pointen zu übersetzen. Wir verbrachten eine herrliche Zeit auf dem Anwesen, und obwohl ich die einzige Frau im Gemäuer dieses Männerbundes war, wurde ich als ebenbürtig behandelt. Von diesen beiden Menschen erfuhr ich mehr Achtung und Respekt als von vielen heterosexuellen Männern. Am Ende dieser Ferienzeit verband uns eine tiefe Freundschaft, die bei mir noch lange Jahre anhalten sollte.
Eines Abends hatten Maurice und Henry zu einem Fest im Kloster geladen. Zunächst erschien uns die Feier wie ein wichtiger Empfang. Die Honoratioren der Insel waren anwesend, als Anlass des Festes hatten die beiden höchst feierlich den Besuch einer indischen Prinzessin angekündigt, der es zu huldigen galt. Die Dame – es war in Wahrheit eine Musikkritikerin aus Paris, die ihre Rolle überzeugend spielte – lagerte auf einem erhöhten Diwan, den man im ehemaligen Refektorium platziert hatte. Sie war umhüllt von Sari und Schleier, ihre langen schwarzen Haare fielen von ihren schön geformten Schultern auf den Diwan hinab. Sie hielt Audienz. Maurice, der sich als Übersetzer des Hindi ausgab, flüsterte die Fragen der Besucher in die Ohren der Bewunderten. Ihre Antworten leitete er dann ein mit den Worten »Ihre Hoheit meint« oder »Exzellenz sagen dazu«. Es war ein höchst professionell arrangiertes Ereignis, während der Audienz wurde serviert, diniert, getrunken, die Ausgelassenheit nahm zu, eine Kapelle untermalte das Spektakel mit Raga-ähnlichen Melodien. Musik vom Plattenspieler vervollkommnete schließlich die orientalische Nacht.
Um Mitternacht läutete dann ein Diener die Klosterglocke, Maurice gab der Kapelle ein Zeichen zur Stille. Fackeln wurden entzündet, das Haupttor zum Saal öffnete sich, und herein spazierte Henry, der Baron, nur mit einem Badeslip bekleidet. Alle konnten seinen makellosen, gebräunten Körper bestaunen. Er half der falschen Prinzessin von der Empore hinunter. Erst herrschte Irritation, dann folgte Gelächter und Applaus. Wer diese Probe bestanden hatte, gehörte von da an zum Freundeskreis des Barons und zu den Geladenen aller folgenden Kulturveranstaltungen.
Danach reisten wir nach Saint-Paul-de-Vence in Südfrankreich für eine Aufführung von Unbegrenzt ,eine Textkomposition aus dem Zyklus Aus den sieben Tagen . Der wohlhabende Kunsthändler Aimé Maeght hielt im Innenhof seines Muse ums einmal im Jahr Konzertwochen ab, die Nuits de la Fondation Maeght. Das Nachtkonzert im amphitheaterähnlichen Halbrund des Museums schmiegte sich erstaunlich gut in die Natursituation ein. Den meisten der an der Côte d’Azur ansässigen Besuchern waren die Klänge, die aus Lautsprechern und Kurzwellenempfängern kamen, noch ungewohnt. Es war eine fremdartige, an keine Harmonik angelehnte intuitive Musik. Dazu – so schien es uns – kam aus der Natur die Antwort der Vögel, die besser als die meisten Interpreten mit diesen Klang- und Tongebilden umgehen und darauf reagieren konnten. Zunächst vermuteten wir, versteckte Flötisten säßen im Gebüsch, doch es wurde immer mehr Getier, das sich in das Konzert einmischte, Laute und Stimmen, die im Süden zur Nachtlandschaft gehören, also auch Grillen, Frösche, Eselsschreie, Hundegebell – das Publikum lauschte gebannt.
Das Ende der Aufführung verlief sich in der Umgebung. Immer mehr Musiker verschwanden aus dem Hof, die elektronischen Schallquellen auf der Bühne versiegten, die Instrumentalisten entfernten sich, das ganze musikalische Geschehen weitete sich. Die Klänge kamen nun von immer entfernteren Orten. Von einer Steilwand hallte ein Echo wider. Auf der Bühne gaben die Apparate, von Stockhausen gesteuert, immer noch Töne von sich. Er bediente den elektronischen Regler und spielte auf einer Flöte und auf Autohupen – aber auch er merkte, dass ihm das Ganze zunehmend entglitt, sich verselbständigte. Er echote jetzt selber den fernen Klängen nach, ließ sich mitreißen von der magischen Nacht.
Auch viele Besucher machten sich leise auf den Weg. Ich ging singend in den Wald hinein. Bei meinem zunächst ziellosen Umherwandern reagierte ich mehr und mehr auf die verschiedenen Instrumente, hielt jedoch
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