Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
aus, brachte sie zur Bank, schrieb zwei Briefe und ging dann mit den Kindern einkaufen. Mit Blumen für hundert Dollar schmückten wir anschließend das Haus für diesen besonderen Tag, von dessen Besonderheit allerdings nur ich überzeugt war. Wir fuhren mit unserem kleinen Motorboot zum Lobsterhafen und besorgten dort Hummer und Clam Chowder, die typische amerikanische Ostküsten-Muschelsuppe. Dazu gab es Roggenbrot aus der deutschen Bäckerei und als Nachtisch frischen Obstsalat. Wir deckten den Tisch, stellten feierlich Kerzen darauf und verspeisten unser Festmahl.
Als die Kinder im Bett lagen, bat Brigitte Lindenbach, unser »Kindermädchen«, sich unser Auto ausleihen zu dürfen. Diesen großen Ford mit neun teils aufklappbaren Sitzen hatte ich von einer Sammlerfamilie im Tausch gegen Kunst erhalten. Brigitte wollte mit Freunden zu einem Konzert fahren, so nannte man damals die gerade aufkommenden Tanzpartys in Diskotheken. Für Karlheinz war Pop- und Rockmusik nur banaler Krach.
Einige Popmusiker wie Frank Zappa oder John Lennon schätzte Stockhausen übrigens trotzdem sehr. Er plante einmal sogar ein gemeinsames Konzert mit den Beatles. Doch die erstmalige Verbindung von Pop und E-Musik-Avantgarde scheiterte, als die Beatles im Schneechaos dieses Winters stecken blieben und die Vorbesprechung in New York bei Lukas Foss, zu der wir aus Guilford angereist waren, nicht stattfinden konnte. Dass die Beatles Stockhausen verehrten, hatten sie bewiesen, als sie sein Bild auf dem Cover ihres berühmten Albums Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band verewigten.
Stockhausen bewegte sich eher selten aus dem Haus, nur manchmal fuhr er nach dem Abendessen noch mit Rolf Gehlhaar weg, so auch an diesem Abend – sie besuchten meinen Bruder. Brigitte war also mit ihren Freunden unterwegs, die beiden Männer waren aufgebrochen, die Kinder schliefen. Draußen rauschte der Wind immer lauter, ein Sturm kam auf, der sich allmählich mit Regen mischte, und man hörte die aufgebrachten Möwen kreischen. Nachbarn hatten wir zu dieser Jahreszeit keine, denn unser Haus war das einzig winterfeste inmitten leichterer Sommerholzhäuser.
Auf einmal krachte im Komponiererkerzimmer mein Mam mutwerk zu Boden, zerstört, zersplittert, Glasscherben lagen überall verstreut. Der Komponiertisch blieb dabei zum Glück unversehrt. Während ich die Trümmer zu beseitigen versuchte, läutete das Telefon. Brigitte rief aus der Notfallambulanz des New Haven Hospital an: Sie seien verunglückt, das Auto von einem Riesenlaster zu Schrott zerquetscht, die Schulter einer Freundin sei gebrochen, aber den anderen sei Gott sei Dank nichts passiert. Ich erschrak zunächst fürchterlich, war dann aber auch erleichtert, dass nichts Schlimmeres geschehen war.
Der verrückte Tag neigte sich dem Ende zu, und ich lebte noch. Doch die Abfolge all dieser Vorfälle sollte meinen Entschluss, mit Stockhausen nach Deutschland zurückzukehren, der sich zögerlich schon herausgebildet hatte, endgültig besiegeln. Dass Julika, nun schon vier Jahre alt, ein Englisch sprach, das nur durchsetzt war von deutschen Brocken, war für mich ein Hauptgrund. Die Muttersprache schien mir doch sehr wichtig für die Erziehung und die Vermittlung von Werten.
Als Karlheinz lange nach Mitternacht mit Rolf heimkehrte, teilte ich ihm meinen Entschluss mit. Er umarmte mich, und wir verbrachten den Rest der Nacht in seliger Liebesstimmung. So hatte er am Ende gewonnen, das Tauziehen – USA oder Europa als Zuhause – war beendet. Selbst die Monate hier am Meer, mein Haus, in dem er sehr gut arbeiten konnte, hatten ihn seine Meinung nicht ändern lassen: »Komm zurück! Du verflachst in diesem materialistischen Land. Dein geliebter Marcel Duchamp ist tot, den kannst du jetzt ebenso bei uns im Wald wiedertreffen.« Er meinte auch, meine Werke seien in Amerika zu »voll« geworden, zu überhäuft mit Motiven und Materialien. Das traf mich, hatte er doch zwei Jahre vorher noch geäußert, ich sei in meiner Kunst weiter als er.
Als wir am nächsten Morgen zu unserer kleinen Anlegebrücke am Priel spazierten, stellten wir fest, dass auch unser Motorbötchen verschwunden war. Ich hatte es wohl nicht ordnungsgemäß festgezurrt, wir entdeckten es schließlich unter Wasser liegend, rot wie immer, aber irgendwie tot. Es erinnerte mich geradezu an ein Bild von Shakespeares Ophelia im Hamlet , wo sie wie schlafend im Wasser treibt …
So hatten wir also in einer Nacht den großen
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