Ich haette dich geliebt
Hause weg gewesen. Und doch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Ich hatte meinen Vater kennengelernt! Nach siebenunddreißig Jahren! Ich hatte viel Verwirrendes über meine Mutter erfahren und mit einem wildfremden Mann geschlafen, der nicht der Rede wert war. Und eine Frau geküsst, die mir jetzt fehlte.
Ich fuhr direkt zu Willy. Es war erst Mittagszeit. In der Küche herrschte eisige Konzentration. Fonds wurden eingekocht, Nudelteig gerollt, Gemüse geschnitten und Fleisch pariert.
„Wo ist Willy?“, fragte ich Frederike, die gerade ihren Finger in den Mund steckte, um eine Soße zu probieren.
„Der kommt gleich, er schläft momentan länger.“
Sie verzog keine Miene. War das jetzt witzig gemeint?
Willy ließ nicht lange auf sich warten und kam dann mit einer bildhübschen Frau, die um einiges jünger war als ich, hereingeschlendert. Als er mich sah, ließ er die Frau instinktiv los. Die schien zu wissen, wer ich war.
„Du bist Clara? Ich habe ein Foto von dir an seinem Kühlschrank gesehen.“
Sie deutete seitlich mit dem Daumen auf Willy.
„Ja, und du bist Charlotte, Willys neue Freundin. Soweit ich das richtig verstanden habe.“
Ich versuchte, neutral zu klingen. Willy nutzte den stillen Moment um einzugreifen.
„Wie geht es dir?“
„Ich habe meinen toten Vater kennengelernt, erfahren, dass meine Mutter anders ist, als ich dachte, mit einem Kellner geschlafen und eine Frau geküsst.“
Ich antwortete wahrheitsgemäß und freute mich über die gelungene Provokation. Charlotte konnte anscheinend mit so viel Ehrlichkeit nicht umgehen und verzog sich in den Garten, um eine zu rauchen.
„Das ist einiges! Erzählst mir dann in Ruhe, 'ne?“, fragte Willy verunsichert.
„Ja, ja, und du und sie? Big Love?“
Ich konnte nicht anders, es war zu viel Ironie in meiner Stimme.
„Das weiß ich doch noch nicht. Sie isst gerne. Das ist schon mal was. Sie trinkt nicht, raucht aber dafür. Außerdem findet sie mich toll.“
Willy runzelte die Stirn, und ich hatte das Gefühl, als sei das eine Anspielung auf mich.
„Naja, ich wollte nur mal Hallo sagen. Bin also wieder heil und gesund zurück.“
„Wie war das mit der Frau?“
Klar, dass Willy das noch fragte.
„Ach so, ja, nichts weiter. Bis dann.“
Ich drückte Willy kurz und sagte dann freundlich „Auf Wiedersehen“ zu Charlotte, die gerade telefonierte und mir nur zuwinkte.
--Bist Du gut angekommen? Ohne Dich ist alles doof.--
Luise.
--Ja bin ich. Danke für die CD. Du bist ja sooo romantisch.--
--Kannst mal sehen. Komm nächsten Donnerstag. Habe frei. Einen Tag!--
Ich freute mich. Und trotzdem hatte ich ein komisches Gefühl. Ich wusste nicht, wie ich diese Freude einordnen sollte. Ich wollte verstehen, warum ich jedes Mal, wenn mein Handy piepte, so unruhig wurde. Das war doch nicht normal. Ich schaltete einen Gang zurück. Das schien mir am Sichersten.
--Donnerstag schon?--
--Klingt nicht sehr begeistert.--
--Klingt, wie es klingt. Freu mich.--
Zu Hause roch es schimmelig. Ich durchwühlte die Küche, bis ich Zwiebeln fand, die schon schwarz waren und einen süßlichen Geruch verbreiteten. Ich hatte Hunger und kochte mir ein paar Nudeln. In letzter Zeit ernährte ich mich reichlich einseitig. Nudeln und Pommes. Ein Königreich für die deftige Linsensuppe meiner Mutter. Ich hatte einmal versucht, die nachzukochen. Aber dem Geschmack fehlte was. Die Säure oder etwas Zucker. Ich erinnerte mich gut, wie ich die Suppe gelöffelt hatte und meine Tränen wie Regen unaufhörlich in den Teller tropften .
Ich rief Jonas an. Der war froh, dass ich mich meldete, und bat mich, morgen nochmals in die Neubausiedlung zu fahren. Dort, wo das Mädchen vor einer Woche verhungert war.
„Mach mal noch eine Befragung unter den Nachbarn, ja?“
„Das ist doch längst abgehakt.“
„Die Leute sollen ihre Meinung zur Politik in Jugendsachen loswerden. Da war eine Menge Bewegung im Rathaus.“
Jonas ließ nicht locker. Ich sagte zu, aber es sträubte sich alles in mir. Ich hatte keine Lust, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Es schien mir nicht richtig, das alles breitzutreten.
Als ich meine Sachen auspackte, fand ich ganz oben auf meiner Tasche die blaue Jacke von Louis Kampen. Ich nahm sie in die Hand und schnupperte daran. Sie roch nach altem Plastik. Wahrscheinlich wegen der wasserfesten Beschichtung. Ich zog die Jacke an und schaute in den Spiegel. An den Schultern war sie ein bisschen breit, und der Gummizug hing unten über
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