Ich, Heinrich VIII.
nicht, und sie waren neu: Das bedeutete, dass sie die halb heruntergebrannten Stümpfe wegwarfen und nicht weiter verwendeten. Doch als ich oben auf dem Absatz angelangt war, vergaß ich all diese Dinge, denn ein Novize kam mir in banger Sorge entgegen.
»Eure Majestät!« Er fiel auf die Knie.
»Auf, auf.« Ich winkte ihm, sich zu erheben. »Die Dame?« Warum sollte ich den Euphemismus nicht auch verwenden, wie es alle anderen taten?
»In den Wehen. Aber es ist noch nicht zu Ende, Sire; es ist gerade die erste.«
Ja. Die erste dauerte immer länger.
Der Novize entfernte sich; ein lauernder Priester trat an seine Stelle.
»Hebammen und Spitalbrüder sind bei ihr«, erklärte er. Schon seine Worte ließen mich sicher sein, dass sie es missbilligten. »Sie glauben, es wird bald so weit sein.«
Also schön. Ich wandte ihm den Rücken zu und bedeutete ihm so, er möge mich allein lassen. Ich schaute über das Anwesen von St. Lawrence hin und freute mich an der Ordnung, der Einfachheit, der Nützlichkeit. Dies war es, was ich für mein Reich ersehnte.
Ich erwog, in die Kirche zu gehen, die sich klobig vor mir erhob – ein großes, graues Gebäude. Aber ich fürchtete, dann das Ende der Wehen zu versäumen, und außerdem … Ich war zu verwirrt und kann es auch jetzt noch nicht klar fassen und niederschreiben. Aber ich hatte das Gefühl, es wäre, obgleich ich gereinigt worden war, eine Anmaßung gewesen, jetzt vor den Altar des Herrn zu treten …
»Eure Majestät!« Ein junger Novize kam an die Kammertür. »Mistress Blount hat einen schönen Sohn zur Welt gebracht!«
Einen Sohn.
»Sie ruft nach Euch.« Er lächelte. Ich sah keine Missbilligung. (War er zu jung? Noch selber zu nah am Quell der Versuchung?)
»Ich komme.«
Ich folgte dem Jüngling durch die Tür des Warteraumes, durch das Empfangszimmer des Priors und in die innere Gästekammer. Trotz meiner Geistesabwesenheit fiel mir auf, wie üppig alles eingerichtet war.
Eine Hebamme, begleitet von einer Krankenschwester, kam auf mich zu und hielt die Arme in die Höhe wie ein Priester, der die Hostie erhebt.
»Euer Sohn«, sagten die beiden fast einstimmig. Sie hielten mir ein Bündel entgegen. Ich spähte hinein.
Es war sein Gesicht. Prinz Heinrichs Gesicht. Es sah haargenau so aus.
Jesus! Ich wollte mich bekreuzigen, das tote Kind war wieder zum Leben erweckt worden, in einem anderen Knaben, einem, der niemals den Thron würde erben können – während das Kind der Königin als verfluchtes Ding zur Welt gekommen war.
»Heinrich«, murmelte ich ergeben.
»Heinrich!«, jubelten alle, die zuschauten.
Das gewickelte Bündel fühlte sich ebenso schwer und kräftig an wie jenes andere. Gott hatte ihn mir zurückgegeben. Aber nicht durch Katharina.
Jetzt zitterte ich. Ich konnte nicht darüber nachdenken. Ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte.
Die Hebamme bedeutete mir, ihr zu folgen. »Dort in der Kammer, Majestät, da wartet sie.« Wie zartfühlend sie sich ausdrückte.
Im Nachbarzimmer fand ich Bessie – gebadet, parfümiert, frisiert harrte sie meiner Aufwartung. Kurioserweise kam sie mir nicht schön, sondern unecht vor. Nach einer Geburt soll ein Weib nicht aussehen wie eine parfümierte Kurtisane.
»Bessie«, sagte ich und kam an ihre Seite. Die Morgensonne strömte durch die Fenster zur Rechten ins Zimmer herein. Stäubchen tanzten in ihrem Licht. Die Fenster standen weit offen, und der vielfältig vermischte, zu Kopfe steigende Duft aus dem Kräutergarten des Spitalbruders wogte in die Kammer. Mir war, als mache dieser Geruch mich benommen. Denn unversehens fühlte ich mich von überwältigender Schläfrigkeit erfasst.
»Wir haben einen Sohn«, sagte sie.
»Ja. Wir haben einen Sohn. Ich habe ihn gesehen.« In meinem Kopf drehte sich alles durcheinander. »Er ist … vollkommen.« Ein dummes Wort. Ein Wort, das alles sagte.
»Er sieht aus wie Ihr.« Sie lächelte, berührte meine Hand. All diese schmutzige Leidenschaft, zur Schönheit erblüht in einem Kinde. Durch Gottes Gnade? Ich wusste es nicht. Mein Kopf drehte sich.
»Wir nennen ihn Heinrich«, sagte ich.
»Und sein Nachname?«, drängte sie sanft.
»Fitzroy. Der traditionelle Name für den ›Sohn eines Königs‹.« Sie lächelte. »Denn so etwas ist schon öfter vorgekommen.« Sie hörte auf zu lächeln.
Der Säugling war gebadet, gewickelt und in die Wiege gelegt worden. Lange stand ich da und sah auf ihn hinunter. Seine Ähnlichkeit mit meinem verlorenen Prinzen
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