Ich, Heinrich VIII.
kleine Kapelle dieses Ordens, in der Katharina und ich getraut worden waren, dem Greenwich Palace benachbart.
Noch nie war ich außerhalb einer Zeremonie dort gewesen, und der Unterschied ist gewaltig. Diesmal kam ich als Privatmann, ohne Gefolge. Die Dunkelheit war das Erste, was mir auffiel. Da jetzt keine Feier von hoher Bedeutung stattfand, war das Innere der Kapelle nicht erleuchtet, und trotz der Mittagsstunde war sie von Düsternis erfüllt. Nur die Fenster glühten.
Maria hörte auf zu plappern und blieb stocksteif im Mittelgang stehen. Das magische Licht hatte sie erfasst und sie ehrfurchtsvoll verstummen lassen, und so war es ja auch gedacht.
Ich nahm ihre Hand und spürte kein Widerstreben, sondern Fügsamkeit und Entgegenkommen. Vor der Hostie auf dem Altar knieten wir Seite an Seite nieder. Ich erwartete, dass Maria zappeln, klagen, fortstreben werde. Aber sie war starr vor entzücktem Gehorsam. Zusammen beteten wir, dass Katharina unversehrt entbinden möge und mir ein Erbe geschenkt werde. Dann schlüpfte Maria davon, und ich betete still weiter und flehte um einen Sohn. Das rote und blaue Licht, von farbigem Glas zerbrochen und zu einem erhabenen Ganzen zusammengefügt, schien in der Kapelle zu pulsieren. Solches Licht hatte ich nicht einmal an meinem Hochzeitstag gesehen; die künstliche Helle von Kerzen und Fackeln hatte es verdeckt.
Ich erwartete, Maria in tiefem Schlummer unter einer Kniebank oder draußen bei stillem Spiel zu finden. Aber sie kniete auf den abgewetzten Steinen vor der Statue der hl. Anna und blickte mit großen Augen starr geradeaus.
Katharina blieb tagelang in der Wochenstube. Also erreichte die Schwangerschaft ihre volle Dauer. Das an sich war schon ein gutes Zeichen. Von ihren acht Schwangerschaften hatten nur drei die volle Dauer erreicht. Und die letzten Monate waren eine glückliche Zeit für sie gewesen. Sie hatte keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigung erfahren – keine Wassersucht, kein Herzrasen, keine geschwollenen Hände und Füße. Es hatte keine Zwietracht zwischen uns gegeben. Ferdinands Tod hatte sie vollends mein werden lassen, und tief in ihrem Herzen war sie dessen froh. Das glaubte ich wenigstens.
Ihre Wehen begannen genau am vorherbestimmten Tag. Es war ein schöner, sonniger Junitag, ganz wie derjenige (so sagte man), an dem ich zur Welt gekommen war. Alles nahm seinen Gang so, wie es sein sollte, und die regelmäßigen Verlautbarungen der Ärzte waren beruhigend. Die Königin erträgt die Geburtswehen wohl … Die Königin hat mit dem beschwerlichsten Teil begonnen … Die Königin glaubt, dass die Entbindung bevorsteht …
Dann Schweigen. Kein Arzt erschien in der Tür der Kammer. Kein Schreien, weder von der Mutter noch vom Kinde. Nur die Zeit verstrich, und der lange Sommertag näherte sich seinem Ende. Die Sonne ging unter, Zwielicht senkte sich herab, blaugrauer Dunst legte sich über Fluss und Palast.
Dann ein gellender Schrei, der durch sämtliche Türen drang. Katharinas Schrei.
Und immer noch keine Nachricht, und niemand öffnete die äußere Tür der Kammer. Ich musste hinein, auch wenn es verboten war. Ich fasste nach dem Türgriff und spürte, dass er von der anderen Seite bewegt wurde. Ich stürzte hinein.
Linacre erwartete mich. Seine Miene verriet nichts; sie war kühl und milde wie alter Schnee im Februar.
Ich war erleichtert. Also lebte Katharina, denn wäre sie tot gewesen, hätte er nicht so ausdruckslos dreingeschaut.
»Eure Majestät.« Er machte eine Gebärde. »Die Königin wünscht Euch bei sich zu haben.«
Ich folgte ihm durch eine Reihe von Zimmern (allesamt mit Vorhängen verschlossen, um giftige Lüfte abzuhalten, und daher finster und stickig) in das letzte, finsterste von allen: das Geburtsgemach.
Katharina lag auf dem großen Bett; Dienerinnen rieben sie mit Schwämmen ab und kämmten ihr das schweißnasse Haar. Noch immer huschten die Ärzte umher, klapperten mit ihren Instrumenten und sammelten Schüsseln und blutgetränkte Leintücher ein. Es herrschte ein Treiben wie auf einem Bankett.
»Heinrich.« Katharina winkte mir. Ich kam und nahm ihre Hand. Sie war so schlaff, klamm und heiß, dass sie sich anfühlte wie ein zusammengerollter Waschlappen.
»Was ist geschehen?« Ich musste es wissen. Was immer es war, ich musste es wissen. Katharina lebte; mindestens dessen konnte ich sicher sein.
»Tot.« Mehr war nicht nötig. Das eine Wort sagte alles.
»Ein Sohn?«
Sie schüttelte den Kopf. »Eine
Weitere Kostenlose Bücher