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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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bläulichen Dunkelheit des Mittsommers lag. Ob hier noch jemand die uralten Mittsommerrituale vollzog, mit denen man die Zukunft vorhersagte? Einen Kuchen backen, bestimmte Blüten über das Bett streuen, dann stumm rückwärts gehen … In den Häusern schien es still zu sein. Die Menschen dort –
mir anvertraut – ruhten wohlbehalten. O Gott, könnte ich ihnen nur die Sicherheit geben, die sie mehr als jede andere brauchten: einen unumstrittenen Thronerben.
    Wir ritten zu dem Bishopsgate genannten Tor hinaus und ließen die Stadtmauern hinter uns. Gleich darauf waren wir auf dem Lande. Es war noch immer die dunkelste Stunde der Nacht, selbst in der Mittsommernacht. Ich sah nicht, was vor mir lag. Allein Richard, der mich voranwinkte, führte mich. Er kannte diese Straße gut. Es war ein ausgetretener Weg zwischen dem Kloster von St. Lawrence und dem Hause Wolseys, seinem Beschützer und Patron.
    Schon früh graute der Morgen am Himmel im Osten, zu unserer Rechten, und wir ritten noch immer. Auf dem ganzen Weg hatte ich mich stumm bemüht, das Bild des bösartigen Kindes, das meine wahre Frau mir geboren, aus meinen Gedanken zu verbannen. Die Dunkelheit war für derlei nicht der rechte Ort. Am hellen Tag daran zu denken, das würde ich ertragen können, doch nicht zu einer anderen Zeit. Der Fluch war begraben und drohte nicht mehr.
    Die Sonne ging auf. Das Land ringsumher war frisch. Die Sonnenstrahlen leckten über die Saatfurchen der Äcker, als gelte es, Kinder zu ermuntern. Es war, als verspreche das intensive Grün eine bevorstehende Explosion der Fruchtbarkeit und der späteren Reife. Eine grüne Göttin herrschte über diese Felder.
    »Hier.« Der Novize Richard zügelte sein Pferd und wies geradewegs in die aufgehende Sonne.
    Erst sah ich nichts. Dann aber nahmen honiggelbe Steine vor meinen Augen Gestalt an und wuchsen zu einem großen Gebäude.
    Wir galoppierten den Weg hinauf, geblendet von der aufgehenden, rotgoldenen Sonne.
    Der fette Mönch in dem großen Torhaus blinzelte einmal, als er mich sah; dann erkannte er mich.
    »Eure Majestät.« Er raffte seine Kutte auf und kam hastig zum Tor herunter, wo er sich verbeugte. »Die liebe Dame ist in der Residenz des Herrn Prior.«
    Die liebe Dame: Ein euphemistischer Name für Bessie.
    Schweigend deutete Richard zu einem kleinen Haus hinüber. Es stand abseits der übrigen Klostergebäude und war nicht mit ihnen verbunden.
    »Ich danke Euch«, sagte ich. Ich mochte Richard; er schien mir verständig und von menschlicher Liebe erfüllt zu sein – im Unterschied zur göttlichen, die oft nicht versteht. Ich schob die Hand in meine Börse, um ihn für die zwölfstündige Reise zu entlohnen. Er wehrte ab.
    »Ich bitte Euch – macht Unserer Lieben Frau ein Geschenk in meinem Namen.« Seine Augen bohrten sich in die meinen.
    Unserer Lieben Frau. Die liebe Dame. Der Name selbst war lebendig von gefühlvoller Hingabe.
    »Wenn Euch das lieber ist«, sagte ich.
    Ich begab mich in die Behausung des Priors, wo Bessie war. Wolsey hatte all das so eingerichtet. Er war es auch gewesen, der dieses Kloster einem anderen vorgezogen hatte. Ich nahm an, dass er seine Gründe dafür hatte. Nach welchen Eigenschaften wählte man ein Kloster aus? Nach seiner Weltlichkeit? Seiner Barmherzigkeit? Seiner Behaglichkeit? Seiner Anonymität?
    Der Prior verkörperte alle vier. Wieder spendete mein Verstand Wolsey Beifall, während mein Herz ihn als einen Schandfleck auf der Priesterschaft verdammte.
    Der Prior, der von unserer Ankunft in Kenntnis gesetzt worden war, zeigte sich aufmerksam und diskret.
    Er war jung. Das überraschte mich. Er hieß Pater Bernard (nach dem hl. Bernhard von Clairvaux?). Er verbeugte sich und sagte: »Als Mistress Blount zu uns kam – hergesandt von Kardinal Wolsey, der eine mildtätige Natur und auch ein gütiges Herz hat –, beschlossen wir, sie als vornehmen Gast in unserem eigenen Hause unterzubringen. Denn, wahrlich, wer kann sich zum Richter schwingen über einen anderen? Der Wirt zu Bethlehem hat es uns gezeigt: Jeder Gast ist ein göttlicher Gast.«
    Seine Schmeichelei schnürte mir die Kehle zu, und überdies war mein Herz gebrochen.
    »Wo ist sie?« Mehr brachte ich nicht hervor.
    »In den Gemächern dort oben.« Er deutete zur Decke. »Über den meinen«, fügte er hinzu.
    Ich erklomm die steinerne Treppe in dem alten Hause. Sie war mit Teppichen ausgelegt, und ich sah, dass nur feinste Bienenwachskerzen in den Haltern staken. Sie brannten

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