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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Mitte. Eine glitzernde Gestalt erschien weit hinten in dieser Lücke – gleich Moses, wie er durch das Rote Meer schritt.
    Franz kam näher; sein mächtiger Hengst setzte sorgsam seine Hufe, derweil es ihn scheinbar nicht bekümmerte, was sein Pferd tat. Einmal blieb es stehen, um irgendeinen Leckerbissen entgegenzunehmen, mit dem ein Kind es fütterte, und der Reiter beugte sich vor und tätschelte ihm den Hals. Das alles, während ein anderer König wartete!
    Zorn – und Kränkung – erwachten in mir.
    Gelassen lenkte der Reiter sein Pferd wieder in die vorgeschriebene Richtung (ob er vielleicht gleich absteigen und ein Picknick halten würde?); er wandte sich mir zu und ritt langsam weiter. Ich tat desgleichen. Niemand sonst rührte sich.
    Franz und ich bewegten uns Stückchen um Stückchen aufeinander zu, und tausende von Augenpaaren sahen uns. Ich beobachtete ihn eingehend, als er näher kam. Jetzt lagen nur noch zehn Fuß zwischen uns, und ich konnte jede Einzelheit seines Gewandes erkennen – es war überladen mit Spitzen und Geschmeide und alles in allem viel zu grell. Steif musterten wir einander. Dann stieg er plötzlich, in einer überraschend fließenden Bewegung, vom Pferd. Gerade hatte er noch im Sattel gesessen, im nächsten Augenblick kam er mir mit großen Schritten entgegen und streckte die Arme aus. Da stieg auch ich ab, trat vor und umarmte ihn so herzlich, wie man einen Fremden eben zu umarmen vermag. Ich spürte unerwartet viel Kraft in seinen Armen. Dann wichen wir beide zurück und schauten einander zum ersten Mal wirklich ins Gesicht.
    Er ist nicht schön, war mein erster Gedanke. Ich entdeckte manchen Makel an ihm, und jeder davon, ich muss es zugeben, war mir willkommen. Seine Nase war kräftig und lang, was ihm ein leicht frettchenhaftes Aussehen verlieh. Aber er war groß – vielleicht ebenso groß wie ich.
    »Bruder!«, sagte er und küsste mich auf die Wange.
    »Frère!«, erwiderte ich und küsste ihn auf die seine.
    Wir lösten uns und hielten einander mit ausgestreckten Armen, und Franz lächelte. »Ich bin glücklich, Euch zu begrüßen!«, sagte er in wunderlich ausgesprochenem Englisch.
    »Wir wollen uns alle umarmen!«, rief er dann wild. »Wir wollen ein großes Fest der Liebe feiern!«
    Nicht lange, und alle Höflinge waren abgestiegen und mischten sich untereinander, wenngleich sie kaum ein Fest der Liebe feierten. Aber sie sprachen miteinander, was an sich schon erstaunlich war.
    »Ihr werdet heute Abend mit mir dinieren!«, sagte Franz mit leiser Stimme. Sein Französisch klang sehr viel angenehmer als sein Englisch. Dann wandte er sich um und deutete voller Stolz auf die Menge. »Wenn unsere Vorfahren dies nur hätten sehen können – dies und unsere Freundschaft!« Mit kalten, juwelenbesteckten Fingern drückte er meine Hand.

    Am Abend, auf der großen königlichen Estrade in der eigens errichteten Banketthalle zu Ardres, sah ich Franz, der neben mir saß, herablassend an. Er war ein Knabe, ein übereifriges Kind. Er hatte etwas an sich, das nicht königlich war. Es war schade, dass Ludwig versäumt hatte, mit Maria einen Sohn zu zeugen. Denn wahre, königliche Majestät ist vorhanden, wenn ein Kind seinen ersten Atemzug tut, und Franz besaß sie nicht, diese geheimnisvolle Substanz.
    Trotzdem trug er die Krone Frankreichs.
    Wieder und wieder merkte ich, dass ich ihn beobachtete, seine Hose betrachtete, seine Mütze, seine Miene.
    Der König von Frankreich.
    Seine Allerchristlichste Majestät.
    War er es, der in Marignano gekämpft, der Mailand erobert und zwanzigtausend Schweizer Söldner tot im Felde zurückgelassen hatte?
    Neben ihm auf der Estrade saß Königin Claude, und ihr Leib wölbte sich über dem acht Monate alten Kind. Zwei Söhne hatte sie Franz bereits geschenkt.
    Zu meiner Rechten saß Katharina, biss sich tapfer auf die Lippen und ertrug die Schmerzen in ihren Gelenken.
    »Ah! Die Überraschung!«, rief Franz, als die Bediensteten Platten hereintrugen, auf denen sich gelblich grüne Hügel pyramidenförmig türmten. Der oberste Speisenträger trug steifbeinig ein goldenes Tablett mit den kunstvoll arrangierten Früchten zu uns her. Er kniete nieder und bot es uns dar.
    »La Reine Claude!«, verkündete Franz, pflückte die oberste Frucht von der Spitze der Pyramide und legte sie mir feierlich auf den Teller. »Eine königliche Frucht, gezüchtet von unseren eigenen Gärtnern im Garten des Palastes zu Blois, die meiner geliebten Königin für alle

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