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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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ging ich hinüber in die Garderobenkammer, wo zahlreiche Gewänder hingen und mehr noch in den Koffern harrten.
    »Da Ihr mein Kammerdiener sein wollt«, sagte ich zu Franz, »erwählt mir ein Gewand.« Sollte der Narr seine lächerliche Mission nur ausführen!
    Franz trat an die lange, mit Pflöckchen besetzte Stange. An jedem Pflöckchen hing ein Kleidungsstück. Vor jedem davon stellte er sich gekünstelt in Positur. Schließlich wählte er ein weinrotes Wams und einen dazu passenden Rock.
    »Um Eure beneidenswerte Gesichtsfarbe zu betonen«, erklärte er grinsend, als handelte es sich dabei um eine gewitzte Beobachtung.
    So schnell wie möglich zog ich an, was er mir darreichte. Ich habe festgestellt, dass man einem anderen gegenüber niemals so sehr im Vorteil ist wie dann, wenn er einem nackt oder in einem Zustande gegenübersteht, da er eigentlich niemanden empfangen könnte. Franz stand die ganze Zeit da und starrte mich an, ein hämisches Grinsen auf dem Wieselgesicht. Er schwatzte über alles Mögliche, nur nicht über das, was vor allem auf der Hand lag: den Grund für seinen beispiellosen Besuch.
    Während ich meinen Barbier erwartete, der täglich meinen kurzen Bart zu schneiden und zu waschen hatte, fragte ich ihn. »Weshalb seid Ihr gekommen?«
    »Um Euch besser kennen zu lernen, mon frère. Euch persönlich.«
    Was für ein Lügner er war! Ich war im Begriff, ihm das zu sagen, als Penny, der Barbier, wie gewohnt mit seinen Schüsseln voll duftenden heißen Wassers, mit Handtüchern, Kämmen, Scheren und Rasiermessern, hereinkam. Ich machte es mir in einem Sessel bequem und überließ mich seinem Hantieren.
    Ein großes weißes Tuch ward mir um die Schultern gelegt, und dann zückte Penny seine silberne Schere und begann, mir den Bart zu schneiden. Franz blieb weiterhin stehen und schaute zu. Wollte er nie mehr gehen? Zorn erhob sich in mir.
    »Ihr benutzt noch immer Scheren von dieser Art?«, erkundigte Franz sich mit gespielter Ungläubigkeit. »In Frankreich haben wir eine neue Sorte. Ich bin sicher, Ihr würdet sie auch bevorzugen, wenn Ihr nur einmal Gelegenheit zum Vergleich hättet.«
    Wahrlich, ich hasste den Mann. Aber ich bin nicht so begabt zu schlagfertigen Repliken wie Wolsey und mein Narr Will.
    Will:
    Mit Wolsey in einem Topf! Ein Kompliment oder eine Beleidigung?
    Heinrich VIII.:
    »Die hier ist gut genug«, war alles, was mir einfiel. »Mein Bart und ich kennen einander gut.«
    »Aber eine allzu lange Bekanntschaft kann zur … Gleichgültigkeit führen, ist es nicht so? Wie in der Ehe?«
    Pennys Schere wirbelte nahe meiner Kehle. Ich wagte nicht, mich auch nur einen Zollbreit zu bewegen. »In der Euren?«, versetzte ich.
    »Ich bin kaum fünf Jahre verheiratet«, erwiderte er achselzuckend. »Und habe schon drei Kinder …«
    »Das dritte ist noch nicht auf der Welt«, fuhr ich dazwischen.
    »Aber es wird bald kommen«, sagte Franz verträumt. »Ich hoffe, es wird ein Mädchen. Gern hätte ich eine Tochter, zwei Söhne habe ich ja schon.«
    »Dann müsst Ihr nur danach trachten, Eure Tochter ebenso hingebungsvoll zu lieben wie Eure Mutter. Die Sohnesliebe ist ein hehres Ding, und Gottes Segen ruht darauf.« Alle Welt wusste, dass Franz und seine Mutter eine unnatürliche Beziehung pflegten, zumindest eine, wie sie zwischen Mutter und Sohn nicht üblich war. Es hieß, er unternehme niemals etwas ohne ihren Rat, und täglich ziehe er sich bis zur Mittagsstunde mit ihr zu »Beratungen« zurück. Sie wiederum nannte ihn »Mon roi, mon seigneur, mon César, et mon fils«.
    Für einen winzigen Augenblick veränderte sich seine selbstgefällige Miene. Dann lächelte er. »In der Tat«, sagte er. »Ich glaube, ich werde sie nach meiner geliebten Mutter taufen. Ich wüsste keine größere Ehre.«
    Offensichtlich nicht, dachte ich bei mir. Schade, dass du mère nicht gleich selbst heiraten kannst. Er war wirklich widerwärtig.
    Will:
    Hätte Heinrich sich nicht vielleicht auch mit seiner Mutter zur Beratung zurückgezogen, wenn sie noch gelebt hätte? Wie eng sind Eifersucht und Abscheu miteinander verknüpft? Warum hat noch kein Gelehrter dies erforscht? Ich persönlich finde diese Frage fesselnder als die öden Debatten über die wahre Natur der Eucharistie, wie sie heute toben.
    Heinrich VIII.:
    Als Penny fertig war, erhob ich mich von meinem ledernen Sessel und nahm das Tuch herunter. »Ich habe mich jetzt um Geschäfte zu bekümmern«, erklärte ich viel sagend.
    Aber Franz blieb weiter

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