Ich, Heinrich VIII.
Weibern einzulassen. Aber mit einer erfahrenen Kurtisane? Das war doch gewiss etwas anderes.
Und die Wahrheit war, dass der Zölibat eine verdrießliche Sache war. Die eheliche Pflicht hatte mit all dem nichts zu tun; sie war nicht einmal ein Bruch des Zölibats. Mit Katharina tat ich pflichtschuldig, was ich tun sollte. Aber die Unruhe in meinem Blut stillte das nicht. Möglich, dass es dieser Mary gelänge.
Es war lange nach Mitternacht in der englischen Zeltstadt, die den Palast zu Guines umgab. Einige der Zelte im weiten Rund glommen geisterhaft, rastenden Glühwürmchen gleich: So sah es aus, wenn Kerzenlicht durch Goldbrokat schimmerte. Während ich noch hinausblickte, wurden hier und dort die Lichter ausgelöscht und versanken in der Nacht.
Einer jähen Eingebung folgend, stieg ich ab und winkte meinen Kammerdiener, der auf mich gewartet hatte, um mich in meine Gemächer zu begleiten, er möge sich zurückziehen. Ich wollte allein durch die Nachtluft wandeln.
Gibt es etwas, das so sanft und einlullend wäre wie eine Juninacht in Frankreich? Die Luft selbst hatte etwas Wollüstiges, aber in einem liebreizenden Sinn, wie man es wohl bei einer überreifen Jungfrau finden mag. Oder bei einer Frucht, die um ein weniges zu lange am Baum gehangen hat und nun einen eigentümlichen Geruch verströmt, der die Wespen herbeilockt. Ich atmete tief ein; ich musste gestehen, dass wir solche Nächte in England nicht hatten.
Fackeln erhellten die unmittelbare Umgebung des Schlosses. Ich begab mich zum Rande des Lichtkreises, in die Dunkelheit an der Grenze zwischen dem königlichen Bezirk und dem der Höflinge. Eine warme Brise fasste meinen Hut und wehte ihn mir vom Kopfe. Ich wollte ihm nachsetzen, doch er kullerte davon, weiter in die Dunkelheit, und mit den zierlichen weißen Federn am Rande sah er aus wie ein verspielter Irrwisch, als er so dahinhüpfte. Was ich sah, war etwas Schwarzes, weiß umrändert, und es erinnerte mich an etwas, an etwas Unangenehmes – aber was? Etwas, das in der Mitte dunkel war und dann weiß, zurückweichend, meiner spottend … Ich durchforschte die Bilder meiner Erinnerung, aber ich fand nichts, was mich so hätte beunruhigen können.
Die Brise schwoll zu einem Wind und zerrte an meinem Mantel wie eine ungeduldige Geliebte. Ich dachte an Franz und an unsere Begegnung. Was die körperliche Erscheinung anging, so hatte der Franzose meinen Erwartungen entsprochen, in seinem Benehmen aber nicht. Er schien sich über alles lustig zu machen, und offenbar bereitete es ihm Vergnügen, andere mit seinem unorthodoxen Verhalten zu verblüffen. Die Würde eines Königs strahlte er nicht aus, all seinen Titeln und militärischen Erfolgen zum Trotz.
Militärische Erfolge … Krieg. Ich hatte hier gekämpft, gegen Frankreich. Unser Erbfeind. Der französische Wind war sanft, und die Äpfel waren süß, vor allem hier in dieser Gegend. Es wäre reizvoll, dieses Land zu besitzen …
Ich schlief wie betäubt, und vielleicht war ich es auch: Von der Nachtluft, oder von jener Erscheinung? Am nächsten Morgen jedenfalls schlief ich weit über die Zeit hinaus, da die Sonne viereckige Lichtflecke auf den tiefrot und blau gemusterten Seidenteppich neben meiner Bettstatt malte. Plötzlich wurden unter dem Geklapper der Ringe die schweren Samtvorhänge an meinem Bett beiseite gerissen, und das Gesicht König Franz’ starrte zu mir herein, ein sardonisches Lächeln auf den Lippen.
»Ich bin gekommen, Euer Kammerdiener zu sein. Es ist mein Wunsch, Euch zu bedienen.« Er machte eine tiefe Verbeugung.
Wo waren meine eigenen Bediensteten? Wie hatte Franz Zutritt zu meinem Gemach gefunden? Wie konnte er es wagen, hier einzudringen, wo er mich verwundbar sah wie nirgends sonst? Hätte ich es nicht schon getan, so hätte ich in diesem Augenblick begonnen, Franz zu hassen.
Ich stieg aus dem hohen königlichen Bett und trat dem Eindringling entgegen. Lächelnd stand er da, voll bekleidet, die Hände in die Hüften gestemmt. Er wusste, dass mich der Drang erfüllen musste, mich des Nachtgeschirrs zu bedienen, aber er blieb wie angewurzelt stehen, wo er stand. Ebenso entschlossen war ich, meinem Drang in seiner Gegenwart nicht nachzugeben.
»Weshalb seid Ihr hier? Meine Wachen …«
»Haben dem König von Frankreich mit Freuden Zutritt gewährt«, beendete er meinen Satz.
Ich schaute mich um. Wo waren meine Kleider? Mein Gewandmeister war offenbar zusammen mit den übrigen Kammerdienern fortgeschickt worden. So
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