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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Dabei würde ich ihr begegnen!
    »Eure Majestät … meine Spielleute habe ich fortgeschickt; wir haben keine Musikanten hier …«
    Wolsey war nicht vorbereitet. Ich lachte. Ich lachte so laut, dass alle ringsumher mich anstarrten. »Dann wollen wir uns ohne Musik untereinander mischen!«, schlug ich vor. Kam es darauf an? Ich musste sie finden, und dazu brauchte ich keine Musik.
    »Aber ich …«
    »Hebt die Tafeln auf, Wolsey. Wenn wir weiter speisen, sind wir nachher nur träge, wenn wir wieder in die Hitze hinausgehen.« Ich hoffte, es möge einigermaßen vernünftig klingen.
    »Ja, ja, natürlich.« Er hastete davon, zu tun, was ich geboten.
    Gleich wurde die Halle ausgeräumt, und die Gäste begannen, sich untereinander zu mischen und zu plaudern – nicht zuletzt über das seltsame Benehmen des Königs, der zuerst seinen Bastard ehrte und dann das Festbankett abbrechen ließ.
    Nirgends war eine Spur von ihr. Keine Spur von einem leuchtend gelben Kleid unter all den Festgästen, und ich suchte angestrengt nach Gelb: Ich sah eine gelbe Börse oder eine Schärpe oder ein Halsband noch auf hundert Fuß Entfernung. Es tanzte gelb vor meinen Augen wie ein höhnischer Schwarm von Schmetterlingen. Aber niemand mit langem schwarzen Haar in einem gelben Kleid.
    Ich war wütend; ich langweilte mich; ich wollte weg. Überdies war mir, als müsse ich in der Großen Halle ersticken; sie war zu niedrig und daher bedrückend. Die Fenster ließen nicht genug Licht herein. Es sollte doch kein Beichtstuhl, sondern ein Ort des Frohsinns sein!
    Ich brauchte Licht und Luft! Was hatte Wolsey geritten, dass er eine solche Schachtel gebaut hatte? Sollte es ihn an seine priesterliche Vergangenheit erinnern? Ich drängte zu einem Seitenausgang und stieß die Tür auf. Die Hitze wälzte sich herein wie ein Lebewesen. Draußen war es so heiß wie im Heiligen Land. Die Luft selber war schwer, und es war schlimmer als im Inneren der Großen Halle.
    Da erblickte ich sie im Garten. Ich sah ein gelbes Kleid und darin ein schlankes junges Mädchen; ich sah, dass sie die Hand eines hoch aufgeschossenen, schlaksigen Jünglings hielt, und ich sah, wie sie – sie! – sich vorbeugte, um ihn zu küssen. Sie standen vor dem Blumengarten, und überall um sie her waren gelbe Blumen. Das gelbe Kleid, gelbe Blumen, die gelbe Sonne – sogar der Löwenzahn zu meinen Füßen war gelb! Ich schlug die Tür zu.
    Wolsey kam herbei, einen vergilbten Brief in der Hand. »Ich dachte, Ihr würdet vielleicht gern lesen …«
    Ich schlug ihm den Brief aus der Hand. »Nein!«
    Er war entsetzt. »Aber es ist die Geschichte des Landes von Hampton Court, als es noch Johanniter-Tempelhof hieß und den Rittern vom Orden des heiligen Johannes von Jerusalem gehörte …«
    Der arme Wolsey! Er hatte ein großartiges Opfer gebracht, und ich trampelte darauf herum. Ich hob den Brief auf. »Später vielleicht.« Ich öffnete die Tür wieder, und wieder wogte die schwüle Luft eines fremden Landes herein. Der Blumengarten, vielleicht zwanzig Schritt weit entfernt, schimmerte in Licht und Hitze. Die gelb gekleidete Gestalt war noch da; der hoch gewachsene Knabe ließ sich nicht mehr von ihr küssen, sondern umarmte sie jetzt. Sie standen ganz still; nur die Luft um sie herum tanzte.
    »Wer ist das?«, fragte ich, als sähe ich sie zum ersten Mal.
    »Anne Boleyn, Eure Majestät«, sagte er. »Und Henry Percy. Der junge Percy ist der Erbe des Grafen von Northumberland. Ein braver Bursche; er steht in meinem Dienst. Sein Vater hat ihn zu mir geschickt, damit er bei mir etwas lernt. Er und Boleyns Tochter – Verzeihung, Sire, ich meine, Viscount Rochfords Tochter – sind verlobt. Besser gesagt, die Verlobung soll verkündet werden, wenn Percys Vater in den Süden kommt. Ihr wisst ja, wie mühsam diese Reisen für die Grenzlandbewohner …«
    »Ich verbiete es!«, hörte ich mich sagen.
    Wolsey starrte mich an.
    »Ich sagte, ich verbiete diese Heirat! Sie kann nicht stattfinden!«
    »Aber, Eure Majestät, sie haben doch schon –«
    »Das ist mir gleich!« Ah, wie sehr sollte ich mir nur zehn Jahre später wünschen, ich hätte ihn diesen Satz zu Ende sprechen lassen! »Ich habe gesagt, ich werde diese Hochzeit nicht zulassen! Sie ist … unpassend.«
    »Aber Eure Majestät … was soll ich Percy sagen?«
    Sie standen noch immer im Garten und umarmten einander. Er spielte jetzt mit ihrem Haar. Ein Grinsen breitete sich auf seinem törichten Gesicht aus. Oder war es kein Grinsen?

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