Ich, Heinrich VIII.
auf der anderen Seite des Hofes lockend in die Höhe ragten. Ich wollte dieses Schloss haben!
»Dank Euch, Wolsey«, hörte ich mich sagen. »Wir nehmen Euer Geschenk an und sind Euch zu großem Dank verpflichtet.«
Seine Miene änderte sich nicht und verriet auch keinerlei Empfindung: In diesem Augenblick wuchs meine Bewunderung für ihn jäh auf das Zehnfache. Ein unübertrefflicher Meister der Verstellung!
Will:
Ein überaus schlechtes Vorbild für Heinrich, und umso schlimmer, da er so etwas bewunderte. Zu der Zeit, da ihm Hampton Court zum Geschenk gemacht wurde, war sein Gesicht noch wie ein Spiegel: An dem, was sich dort abbildete, konnte jedermann erkennen, was in seinem Kopf vorging. Innerhalb weniger Jahre aber wurde er zu einem Mann, der sagte: »Dreie mögen zu Rate gehen, wenn zwei von ihnen nicht dabei sind. Und wenn ich dächte, dass meine Mütze weiß, was ich denke, würfe ich sie ins Feuer.« Gegen Ende seines Lebens war er im Stande, einen behaglichen Abend mit seiner Gemahlin zu verbringen und dabei zu wissen, dass er soeben für den nächsten Tag einen Haftbefehl gegen sie unterschrieben hatte. Wolsey erteilte ihm den ersten Unterricht in der Kunst der Täuschung, der List und der Verstellung – und wie in allen Dingen stellte Heinrich seinen Lehrer auch hier bald in den Schatten.
Heinrich VIII.:
Ich schob das Dokument in meinen Gürtel. »Lasst uns weitergehen«, sagte ich, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen, als hätte ich kein Herzklopfen, als jagte nicht ein aufgeregter Gedanke den anderen bei der Vorstellung, dass Hampton Court nun mir gehören sollte.
»Selbstverständlich.« Er verneigte sich wiederum. Dann erklomm er seinen Maulesel und ritt uns vorauf in den Innenhof.
Ich brannte darauf, zu sehen, was hinter dem großen Torhaus lag. Ich wurde nicht enttäuscht: Das makellos grüne Rasengeviert im Innenhof war zu allen Seiten von wunderschön ausgeführten zweistöckigen Bauten umgeben, alle aus rotem Backstein, alle mit großen Fenstern. Aus den oberen Fenstern hatte man wahrscheinlich einen Blick auf die Wiesen ringsum und auf die Themse. Und wenn die Sonne sich spätnachmittags neigte …
Ich merkte, dass ich angehalten hatte, und ich trieb mein Pferd voran. Wolsey hatte bereits die eigens errichtete Plattform auf der anderen Seite des Hofes bestiegen, wo die Investitur stattfinden sollte. Die Zuschauer würden davor auf dem Rasen stehen. Und ihn wahrscheinlich zertrampeln, war mein erster, wütender Gedanke. Ich konnte es nicht ertragen, dass irgendetwas die Vollkommenheit meines neuen Besitzes stören sollte.
Wir stiegen auf die Plattform, Katharina und ich. So schmerzhaft es auch für sie war, ihre Anwesenheit war notwendig, damit deutlich wurde, dass das Verfahren ihre Billigung hatte. Ohne diese konnten Abweichler jederzeit geltend machen, die Königin sei nicht einverstanden gewesen, und dies zum Vorwand nehmen, sich um sie zu scharen und einen Krieg zu entfachen. Katharina wusste das, Katharina verstand es; und als Mutter sah Katharina auch, dass ich nur versuchte, die Gefahr abzuwenden, die ihrem eigenen Kind drohte.
Will:
Katharina liebte dich, du blinder Tor – sie war die einzige unter deinen Ehefrauen, die es tat! Sie wäre nackt dahergekommen, wenn du es ihr befohlen hättest!
Heinrich VIII.:
Die Plattform war geschmackvoll mit Wolseys türkischen Teppichen bedeckt, unter denen das rohe Bauholz verborgen war. Ein Staatssessel war auch da, auf dem ich sitzen konnte, während ich die Würden verlieh. Wolsey hatte an alles gedacht. Aber war das nicht schließlich der Grund, weshalb ich ihn in seinen hohen Rang erhoben hatte?
Alles war versammelt. Es war fast Mittag, und die Sonne stand hoch am Himmel. Es war vorbei mit der süßen Wärme des Morgens. Die Sonne brannte heiß auf uns herab. Sehnsüchtig schaute ich hinüber auf das kleine Fleckchen von kühlem grünen Gras in einer schattigen Ecke des Hofes. Wo blieb mein Sohn?
Wieder ertönten die Fanfaren, und dann kam er durch einen Torbogen aus einem anderen Innenhof und kletterte allein auf die Plattform.
Er war in Samt gekleidet, und sein sechsjähriges Gesicht war so ernst. Die ganze Zeit war sein Blick starr auf mich gerichtet, und als er näher kam, sah ich, dass seine ganze Stirn mit Schweißperlen bedeckt war. Der schwere Samt … ja, er war erhitzt. Und er hatte Angst. Wie ich damals, vor vielen Jahren, in der Schwüle von Westminster geschwitzt hatte, als ich auf meinen Vater zugegangen
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