Ich, Heinrich VIII.
war. Ich fühlte es plötzlich alles wieder, fühlte das Schwert auf meinen Schultern, fühlte meine Angst, als ich meinem Vater in die ausdruckslosen Augen schaute …
Aber ich war nicht wie mein Vater! Gewiss konnte er doch keine Angst vor mir haben! Und ein so hübscher Knabe. Das Herz wollte mir brechen, als ich ihn sah – er hatte alles, was ich mir für meinen Sohn ersehnt hatte, sogar das rote Haar der Tudors!
Ich ernannte ihn zum Grafen von Nottingham und Somerset und zum Herzog von Richmond, während Katharina rastlos neben mir saß und unsere eigene Tochter, Maria, ihn mit unverhohlener Neugier anstarrte. Dann nahm er seinen Platz auf der Plattform neben den beiden einzigen anderen Herzögen im Reich ein – neben Howard und Brandon. Fitzroy stand im Rang nun über ihnen beiden, denn Herzog von Richmond war ein halb königlicher Titel. Meine Schwester Maria, Brandons Gemahlin, streckte die Hand aus und legte sie ihm auf die schmale Schulter. Sie war immer noch schön, und sie hatte jenen zufriedenen Ausdruck im Gesicht, den man trägt, wenn man sich geliebt weiß und seinerseits den Liebenden liebt. Sie war also glücklich mit Brandon. Gut.
In der vordersten Reihe des Hofstaates gewahrte ich Bessie Blount Tailboys, die den Triumph ihres Sohnes – unseres Sohnes – mit ansah. Sie war immer noch hübsch, und ihr dichtes lockiges Blondhaar betonte noch ihre gesunde Gesichtsfarbe. Ich sah sie an und lächelte. Sie erwiderte das Lächeln. Da war nichts zwischen uns, gar nichts. Wie hatten wir diesen Sohn bekommen? Ein Wunder!
Jetzt mussten die anderen kommen. Henry Brandon, mein neun Jahre alter Neffe, der Graf von Lincoln werden sollte. Er war groß und derb und täppisch, wie sein Vater. Ich warf noch einmal einen Blick auf meinen Sohn, der so still dastand, abseits der anderen, mit so ernster Miene … nein, Henry Brandon war anders, auch wenn sie Vettern sein mochten.
Dann kam Henry Courtenay, mein erster Cousin. Er war Graf von Devon, und ich erhob ihn nun zum Marquis von Exeter. Gewiss, die Loyalität seiner Familie hatte einmal zu gewissen Zweifeln Anlass geboten. Aber er war ohne Arg und auf meine Freundschaft bedacht gewesen. Ich erinnere mich seiner klaren blauen Augen; sie blickten gerade in die meinen, als ich die Worte sprach, die seinen Status änderten. Sie hatten die Farbe eines verblichenen blauen Gewandes und waren ganz ohne Bosheit. Ich sollte mich Jahre später an sie erinnern, und sie sollten mich im Schlaf verfolgen, wenn ich erst herausgefunden hätte, dass er ein Verräter war. In meinen Träumen schauten sie mich immer an, und zugleich brannte die Sonne auf meinen Kopf hernieder und ließ mir den Schweiß in kleinen Rinnsalen über das Gesicht rinnen. Seine Miene war rein, und man hätte glauben können, er stehe in Ultima Thule, so kühl erschien er.
Ich wollte es jetzt hinter mich bringen. Mir war heiß und unbehaglich, und ich hatte Hunger. Ich muss gestehen, ich freute mich außerdem auf das üppige Bankett, das Wolsey ohne Zweifel vorbereitet haben würde. Seine Bankette waren legendär, und jedes Mal versuchte er, sich neuerlich zu übertreffen. Das Wichtigste aber war, dass es drinnen kühl sein würde. Die Sonne glühte wie eine Fackel über uns.
Es waren nicht mehr viele. Henry Lord Clifford wurde Graf von Cumberland. Sir Thomas Manner, Lord Roos, wurde Graf von Rutland. Die Niedersten waren die Letzten: Robert Radcliffe wurde Viscount Fitzwalter, und Sir Thomas Boleyn wurde Viscount Rochford. Als Sir Thomas vortrat, war mir nur bewusst, dass ich zutiefst erleichtert war, weil die Zeremonie sich nun dem Ende zuneigte. Als er herankam, warf ich einen kurzen Blick auf seine Familie, die auf der Plattform versammelt war.
Und dann sah ich sie. Ich sah Anne.
Sie stand ein wenig abseits von ihrer Mutter und ihrer Schwester Mary. Sie trug ein Kleid aus gelbem Satin, und ihr schwarzes Haar fiel ihr über das Mieder – dick und glänzend und (irgendwie wusste ich es) mit einem ganz eigenen Duft. Ihr Gesicht war länglich und bleich überschattet, ihre Gestalt schlank.
Sie war nicht schön. All die offiziellen Gesandtschaftsdepeschen, all die ratlosen Briefe, in denen sie später beschrieben wurde, gehen darin einig. Sie besaß nichts von der Schönheit, die ich bei Hofdamen mittlerweile erwartete, nichts von der hübschen, runden Leichtigkeit, die einem die Stunden versüßte. Sie war wild und dunkel und fremdartig, und als ich mir ihrer zum ersten Mal bewusst wurde,
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