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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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In der aufsteigenden Hitze war es nicht deutlich zu erkennen.
    »Ihr, der Ihr keine Mühe habt, Königen und Kaisern und Päpsten zu sagen, was sie tun sollen?« Ich fing wieder an zu lachen, zu laut. »Ihr steht sprachlos vor einem … einem …« Ich bemühte mich, das Bild, das der verhasste Percy in mir hervorrief, in Worte zu kleiden. »Vor einem albernen, langbeinigen Vogel – vor einem Storch?« Ich schlug die Tür zu und sperrte das Schauspiel und die Hitze aus. Wolsey war bestürzt.
    »Ein Knabe? Ihr fürchtet Euch, einem Knaben entgegenzutreten?«, verhöhnte ich ihn. »Und Ihr wolltet Papst werden?«
    »Jawohl, Eure Majestät. Ich werde es ihm sagen.«
    Jetzt war ich wieder vom Gedränge der Menschen umgeben. Drinnen war es unbehaglich, draußen qualvoll. Es war klar, ich musste fort. Die Banketthalle war wie eine Schraubzwinge, die sich um mich schloss. Ohne nachzudenken, sagte ich: »Ich werde das Ganze abreißen und die Große Halle neu bauen lassen.« Wolseys Miene wurde noch unglücklicher. Offenbar war mit seinem Plan, mich zu beeindrucken, etwas schief gegangen.
    Aufgebracht und ganz außer mir, zog ich die Besitzurkunde über Hampton Court hervor. »Ich danke Euch für Euer Geschenk«, sagte ich. »Aber Ihr mögt hier wohnen bleiben, solange Ihr lebt. Es ist immer noch Euer.«
    Er sah aus wie ein schreckenslahmes Kalb, das kurz vor der Schlachtbank plötzlich verschont worden ist. (Wieso fielen mir an diesem Tag nur Bilder aus dem Tierreich ein?) Er hatte seine Geste vollbracht, und sie war gebührend aufgenommen worden, und doch brauchte er den Preis nicht zu zahlen.
    »Danke, Eure Majestät.« Er verbeugte sich tief.
    »Beendet diese Verlobung«, befahl ich und drängte mich an ihm vorbei.
    Als ich zum Fluss hinunterritt, wo die königliche Barke wartete, sah ich voller Unmut die gelben Ringelblumen, die den Innenhof säumten. Und als ich an Bord war, verhöhnten mich gelbe Butterblumen an der Uferböschung bis London; weit offen blühten sie strahlend in der frischen Sommersonne.

    Ein Monat verging. Ich hörte in der Angelegenheit nichts von Wolsey, und ich bekam weder den neuen Viscount Rochford noch seine Tochter zu Gesicht. Es war Hochsommer, eine Zeit, die ich sonst auf Sport und athletische Übungen zu verwenden pflegte; jetzt aber sah ich mich außerstande, mich in das eine oder das andere zu vertiefen. Stattdessen versank ich in düsterer Selbstbespiegelung.
    Ich dachte: Ich bin jetzt fünfunddreißig Jahre alt. Mein Vater hatte in meinem Alter um eine Krone gekämpft und sie errungen. Er hatte den Kriegen ein Ende gemacht. Er hatte einen Sohn und eine Tochter hervorgebracht. Er hatte Aufstände erstickt und Prätendenten den Garaus gemacht. Was hatte ich geleistet? Nichts, was die Nachwelt zur Kenntnis nehmen würde. Wenn spätere Historiker meine Geschichte schrieben, würden sie nichts weiter sagen als: »Er folgte auf seinen Vater, Heinrich vii. …«
    Ich war eingesperrt und hilflos, und gegen meinen Willen trieb ich voran. Freilich, ich konnte Bankette, sogar Armeen befehligen, und wenn ich es wollte, wurden Männer von diesem auf jenen Posten versetzt – aber die Tatsache blieb, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes ein Gefangener war. Gefangen in meiner Ehe, in meiner Kinderlosigkeit, in dem, was ich tun und was ich nicht tun durfte. Hätte Vater sich für mich geschämt? Was hätte er in meiner Lage getan? Es war unglaublich, aber ich hätte gern mit ihm sprechen, mich mit ihm beraten können.
    Im Wechsel mit diesen trüben Stimmungen empfand ich brennende Sehnsucht danach, Mistress Boleyn wiederzusehen. Wieder und wieder stellte ich mir vor, wie ich sie auf der Plattform gesehen hatte (denn ich hatte keine Lust, daran zu denken, wie sie mit Percy im Garten gestanden hatte), bis das Bild der Erinnerung in meinem Kopf zu verblassen begann wie ein Gewand, das zu lange zum Trocknen in der Sonne gelegen hatte. Ich hatte so oft an sie gedacht, dass ich ihr Bild nicht mehr heraufbeschwören konnte.
    Es war klar, dass ich sie wiedersehen musste. Wozu? Diese Frage stellte ich mir nicht. Um ein neues Bild zu gewinnen, auf dass es wiederum verblasse? Nein. Das wusste ich. Wenn ich sie wiedersähe, dann nicht, um einen kurzen Blick auf sie zu werfen, sondern um – ja, was?
    Ich schickte nach Wolsey. Seine diskreten diplomatischen Berichte flossen in stetem Strom in mein Arbeitszimmer, aber von dem privaten Auftrag, den ich ihm erteilt hatte, fand sich keine Erwähnung. Ob er versäumt

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