Ich, Heinrich VIII.
befreien. Das Volk kann es nur mit einem allgemeinen Aufstand wie in Deutschland, und daran ist uns zu allerletzt gelegen. Nein. Der Aufstand, der Bruch, muss von oben eingeleitet werden. Und dies vor allem: Es darf nicht aussehen wie ein Aufstand. Menschen – auch abtrünnige Menschen – haben gern das Gefühl, dass eine Ordnung ewig sei. Noch wenn wir sie zerschlagen, müssen wir ihre äußere Struktur erhalten.«
Seine Augen tanzten. Er sah aus wie von Sinnen, wie berauscht. Ich nahm mir noch etwas Aal, als könnte es das unbehagliche Gefühl in meinem Kopf lindern, wenn ich etwas im Mund hätte.
»Die Kirche muss intakt bleiben«, fuhr er fort. »Sie muss äußerlich so aussehen wie in der Vergangenheit. Nichts von weiß gekälkten Wänden und zertrümmerten Statuen. Alles wird sein wie immer, mit einer Ausnahme: Der König, nicht der Papst, ist das Oberhaupt der Kirche von England. Der Aufstand wird von oben gelenkt und durchgeführt werden, nicht von unten. Und das Volk wird folgen wie eine Schafherde, wie es dies ja immer tut.« Er lehnte sich zurück und faltete triumphierend die Hände vor dem Bauch.
»Ein hübsches Bild. Und wie soll es verwirklicht werden?«
»Durch das Parlament. Das Parlament wird Euch bevollmächtigen. Und dann könnt Ihr tun, was Euch beliebt. Gewährt Euch die Annullierung Eurer Ehe …«
»Das Parlament besteht aus Menschen. Nicht alle Menschen heißen es gut, dass ich mich von Katharina trenne. Genau gesagt«, gestand ich mürrisch, »die meisten tun es nicht. Die Prinzess-Witwe genießt in der Öffentlichkeit große Sympathie.«
»Aber jedem ohne Ausnahme sind die Privilegien des Klerus ein Dorn im Auge. Hier müsst Ihr den Keil ansetzen, der Euch von Rom trennt. Zum Angriff gegen den Klerus sind sie leicht zu verführen. Wenn es erst so weit gekommen ist, werdet Ihr die Macht haben, zu tun, was Ihr wollt. Vorausgesetzt, Ihr lasst sie bis zum Schluss im Dunkeln.«
Ich starrte ihn nur an; es war weniger sein Vorschlag, als vielmehr die genüssliche Weise, in der er ihn unterbreitete. Mein Schweigen deutete er als Zustimmung, und so fuhr er fort.
»Unterdessen könnt Ihr die Kirche zur Unterwerfung zwingen. Attackiert sie wegen irgendeines vorgeblichen Vergehens, lasst sie eine Buße zahlen und Euch damit als Oberhaupt anerkennen. Damit wird der Klerus einen Präzedenzfall setzen und sich selbst in eine heikle Lage bringen … Und wenn das alles erreicht ist, könnt Ihr beginnen, die Klöster aufzulösen!«, schloss er mit schwungvoller Geste.
Ein Ausdruck der Bestürzung musste mir übers Gesicht gehuscht sein, denn Cromwell nahm seine Rede eilig wieder auf. »Ausländische Körperschaften, Euer Gnaden! Ihre Einnahmen lassen sie aus England abfließen; sie saugen es aus, wie ein Egel einem Kranken das Blut aus dem Leibe saugt! Und nachlässig sind sie! Ihre Unmoral! Reiche Huren werden Äbtissinnen, und die Mönche haben Gören in allen Dörfern der Nachbarschaft. Ihre Wollust ist sprichwörtlich geworden! Schon in den Tagen John of Gaunts schrieb Chaucer über ihre Unmoral. Sie sind für das Reich nicht gut, denn sie berauben es seiner Mittel, und für Christus ist es nicht gut, solche Stellvertreter zu haben!«
Ich musste an das luxuriöse Kloster von St. Lawrence denken, wo die Mätresse und der Bastard des Königs Unterschlupf gefunden hatten … Aber ich dachte auch an die friedlichen, aus honiggelbem Stein erbauten Klöster überall im Lande und an die Mönche, die ihre Zeit damit zubrachten, das Land zu beackern, Manuskripte zu studieren, Schafe zu züchten, Wolle zu spinnen und Reisenden, Pilgern und Vagabunden Schutz zu gewähren. Ohne sie …
»Nein«, sagte ich. »Nein. Sie tun Gutes.«
»Sie sind Treibhäuser der Verkommenheit«, zischte Cromwell. »Auf jeden guten und frommen Mönch kommen zehn, die ihre Zeit in trunkener Völlerei! verbringen. Es ist kein Zufall, dass der beste Wein aus den Klöstern kommt! Ihr bildet Euch ein, sie verbrächten ihre Nächte in kahlen Zellen, wo sie beten und fasten und sich geißeln! Aber das tat nur der Lordkanzler. Nein, die Mönche … ich sage Euch, die wälzen sich im Bett mit einer Dorfmagd, und Christus am Kruzifix schaut auf sie herab!«
Er sprach immer hitziger. Was hatte er mit seiner Bemerkung über den Lordkanzler gemeint? Ich griff nach meinem Bierbecher, aber ich hatte keine Lust, ihm auch einen anzubieten. Er schien immer näher an mich heranzurücken. Ich mochte es nicht, wenn Leute mir zu nahe kamen. Ich
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