Ich, Heinrich VIII.
und gar sicher, dass Ihr einen Christen haben wollt, Euer Gnaden?«
Wollte er mich verspotten? »Ja!«
Statt zu antworten, ging er weiter zwischen den Reihen der sauber gestutzten Rosenbüsche dahin, die Hände auf dem Rücken gefaltet. Am Ende einer Reihe roter Rosen drehte er sich unvermittelt um. »Ich kann nicht«, sagte er leise. »Verzeiht mir.«
Die Rosen ringsumher umgaben ihn wie ein blumiger, blutiger Rahmen.
»Weshalb nicht?«, wollte ich wissen.
»Die »große Sache« Eurer Majestät …«
Ich winkte ab. »Der Lordkanzler hat nichts …«
Er schnitt mir das Wort ab. »Der vorige Lordkanzler hatte sehr viel mit dieser Frage zu tun.«
»Weil er Kardinal war und die Vollmacht hatte, in der Legatenverhandlung den Vorsitz zu führen. Inzwischen ist die Sache darüber hinaus gediehen, und …«
»Und zu einer politischen Angelegenheit geworden, mit der Euer Lordkanzler mehr denn je zu tun hätte, sei er nun Priester oder Laie. Ich kann nicht …«
»Thomas«, sagte ich plötzlich, »welches ist Eure Meinung zu dieser Sache?«
Er wandte sich ab und inspizierte übergründlich eine halb erblühte Rose. Ich wartete. Schließlich konnte er die Antwort nicht länger hinauszögern. »Ich glaube …« Seine sonst so sichere Stimme war leise geworden. »Ich glaube, dass Königin Katharina Eure wahre Gemahlin ist. Und sollte sie es nicht sein, so hat, glaube ich, nur der Papst die Macht, dies zu verkünden.«
Ich fühlte, wie kalter Zorn mir im Halse heraufstieg und in meinen Kopf hinaufkroch, wo er mein Denken beeinträchtigen und verzerren würde. Ich kämpfte ihn nieder.
»Also deshalb lehnt Ihr es ab, Kanzler zu werden.« Überrascht – und erfreut – hörte ich, wie leidenschaftslos meine Stimme klang.
»Zum Teil.« Er lächelte. »Ich kann Euer Gnaden kein Diener sein, wenn ich nicht alles mit ganzem Herzen angreife.«
Wir hatten den Rosengarten jetzt hinter uns gelassen und näherten uns dem Obstgarten. Eine verwitterte Ziegelmauer umschloss ihn. More öffnete die hölzerne Pforte und ließ mich eintreten.
Reihe um Reihe erstreckten sich beschnittene, gepfropfte Bäume vor mir, jede ungefähr fünf Schritt weit von der nächsten entfernt. Säuberlich und gleichmäßig spreizten sie die Äste, sodass sie aussahen wie runde Zelte.
»Pflaumen«, sagte More mit einer Gebärde nach der äußersten linken Reihe. »Kirschen.« Die nächste. »Äpfel.« Die Reihe vor uns. »Birnen.« Die letzte vor der Mauer auf der anderen Seite.
More ging durch die Lücke zwischen den Apfel- und den Birnbäumen. In diesem Stadium sahen die Früchte alle mehr oder minder gleich aus. More bewahrte ein aufreizendes Schweigen, während ich ihm folgte.
»Gott hat sein Urteil darüber gesprochen! Er hat mich verflucht!« Gegen meinen Willen hob sich meine Stimme, wurde zu einem schmerzlichen Aufschrei. More blieb stehen und drehte sich um. Gleichwohl verstummte ich nicht. »Ich habe gesündigt! Und diese Sünde muss getilgt werden! England wird sonst sterben! Sterben!«
Mit spöttischem Gesicht kam More auf mich zu. Aber ich sah ihn nicht mehr, und auch den goldenen Sommernachmittag sah ich nicht mehr. Ich sah nur noch schwarze Verzweiflung. Ohne es zu merken, sank ich am Fuße eines Kirschbaumes zu Boden. Ja, England würde sterben. Noch mehr Kriege in seinem Innern würde es nicht überstehen.
Eine Hand auf meiner Schulter. More beugte sich über mich. »Euer Gnaden?«
»Mein Gewissen sagt mir, dass es die Wahrheit ist«, brachte ich schließlich hervor. »Und wenn die ganze Welt es mir bestreitet, so weiß ich doch, es ist die Wahrheit!«
Ich stand auf, beschämt über meinen Ausbruch. Ich warf More einen Blick zu. Er starrte mich an, und zwar mit einem Ausdruck, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Überrascht, erstaunt, aber auch mehr als das.
»Dann will ich Euer Kanzler werden«, sagte er leise. »Vorausgesetzt, Ihr habt ebenso viel Achtung auch vor meinem Gewissen.«
Das Abendessen verlief heiter. Es war ein »Picknick«, wie Lady Alice es nannte, weil es so einfach war. Lange Tafeln wurden auf dem Rasen aufgestellt und mit weißen Leintüchern gedeckt, die im Wind der Dämmerung leise flatterten. Schlichte Holzteller und irdene Krüge wurden aufgetragen. Man brachte große Berge von wilden Erdbeeren und Kannen mit frischer Sahne. Karaffen mit Maiwein, mit Waldmeister gewürzt, machten die Runde.
Mores Kinder sangen und spielten die Laute. Die Dienerschaft gesellte sich zu uns und tanzte mit meinen
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