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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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schob meinen Schemel zurück.
    Er seufzte und schien sich zu entspannen. »Ich sehe schon, Ihr glaubt mir nicht. Ihr denkt an die gütigen Mönche und Nonnen, von denen Ihr in den Geschichten gehört habt. Aber erlaubt mir nur, diese ›Häuser der Religion‹ einmal durchforsten zu lassen. Mehr erbitte ich nicht. Die Ergebnisse mögt Ihr dann selbst beurteilen.« Seine Stimme hatte einen hässlichen, winselnden Klang angenommen.
    »Später.« Ich wollte jetzt nichts mehr davon hören. Es tat mir weh. »Das Parlament.« Ich wandte mich einem angenehmeren Thema zu. »Wie, meint Ihr, sollte es zu diesem Zwecke eingespannt werden?«
    Er hatte an alles gedacht. Das Parlament würde den Klerus attackieren und Gesetze erlassen, die die Kirche entmachten würden, und dabei würde es glauben, es beschneide lediglich die verhassten klerikalen Privilegien und das separate kanonische Recht, welches den Geistlichen ermöglichte, eigene Gerichte zu halten und sich so dem Zugriff des allgemeinen Rechts zu entziehen.
    Unterdessen würde der Klerus seine Macht in meine Hände legen, bis sich schließlich die gesamte Kirche dem König unterworfen hätte. Der niedere Klerus würde seine Rechtsprivilegien aufgeben, der höhere den König als obersten Richter anerkennen. Dies alles würde Stück für Stück vonstatten gehen, und erst am Ende würden sich alle Stücke zu einem Ganzen zusammenfügen, und dann hätte ich mir die Macht in meinem eigenen Reich gesichert. Mit der päpstlichen Jurisdiktion in England wäre es vorbei. Und ich wäre absoluter Herrscher. Und ich wäre Katharinas ledig. Und reich.
    Wie Cromwell beim Hinausgehen leutselig feststellte, als mache er eine Bemerkung über das Wetter: »Die Einkünfte der Kirche in England sind zweieinhalbmal so groß wie die der Krone. Es wäre zu schade, ginge das alles nach Rom.« Er verbeugte sich und war verschwunden.
    Ich starrte ihm nach. Oberhaupt der Kirche sollte ich werden? Die uralte Struktur zerschlagen?
    Die Sonne strahlte zu den südlichen Fenstern herein, kräftig mittlerweile, denn es ging gegen Mittag. Was Cromwell da vorschlug, war eine Revolution. Alles in England sollte sich ändern, und dabei sollte ich mich befreien.
    Es war hell im Zimmer. Ich dachte daran, wie eifrig ich die Möbel für diese Räume ausgewählt hatte, vor mehr als zwanzig Jahren. Froh hatte ich Vaters verschrammtes, altmodisches Mobiliar gegen die neue, blank polierte italienische Mode ausgetauscht, seine mottenzerfressenen Wandbehänge heruntergerissen und neue bestellt.
    Aber die alte Ordnung der Dinge niederreißen? Ein Königreich umgestalten? Das Chaos. Der Staub. Der schmerzhafte Übergang, die Zeit, da alles bloßläge, des Alten entkleidet und noch nicht mit dem Neuen umhüllt. Aber wenn das Alte verrottet war? Wenn Gott bestimmt hatte, dass es abgerissen werde wie das alte Rom? Verrottet, verfallen, ein Gebäude, das sich selbst nicht länger trug?
    Ein Betstuhl stand in einer Ecke meiner Kammer, in einer dunklen Ecke. In einer Nische darüber schimmerte die Elfenbeinstatue der Heiligen Jungfrau, und vor ihr flackerte eine Votivkerze, obgleich es heller Mittag war. Ich ging dorthin, als wüsste ich nicht, wohin ich mich sonst wenden sollte.
    Die Jungfrau sah mich an, und einen winzigen Augenblick lang sah ich das Antlitz meiner Mutter. Gleich verwandelte es sich wieder in glattes Elfenbein. Ich betete und bat um Anleitung. Aber ich fühlte nichts, hörte keine Stimme in mir. Ohne Anleitung konnte ich nichts tun. Diese Entscheidung war zu folgenschwer.
    Ich erhob mich von der Kniebank und begab mich in mein Privatgemach. Ich wollte mich hinlegen, ein Weilchen nachdenken, vielleicht schlafen.
    Es war niemand zugegen, und dafür war ich dankbar. Meine Diener nahmen nicht an, dass ich mittags ruhen würde; zweifellos erwarteten sie mich in diesem Augenblick im äußeren Gemach zum Mittagsmahl. Ich schloss leise die Tür, und da fiel etwas mit leisem Poltern zu Boden. Es war Wolseys Medaillon, eines, das er in Italien hatte anfertigen lassen und das eine römische Szene zeigte. Es war aus Ton gebrannt, und als es herunterfiel, zerbrach es. Behutsam sammelte ich die Scherben auf. War dies das Zeichen, das ich gesucht hatte? Oder hatte bloß ein Nagel in der Wand sich gelockert und den Fall verursacht?
    Ich schlief in dieser Nacht unruhig und wachte immer wieder auf. Durch meine Träume kreisten die Gestalten von Mönchen und Nonnen. Einige schauten mich vorwurfsvoll an. Andere widmeten sich

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