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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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von Menschen verstopft; manche mussten schon die ganze Nacht dort ausgeharrt haben.
    Ich selbst gedachte die Prozession von einem Fenster in Baynard’s Castle aus anzuschauen, und es wurde Zeit, dass ich mich dorthin auf den Weg machte, ehe das Gedränge noch dichter würde.
    Cromwell, der mit der Prozession nichts zu tun hatte, erwartete mich im verabredeten Zimmer in Baynard’s Castle, das übrigens nicht, wie der Name vermuten ließ, ein Schloss war, sondern ein baufälliges altes königliches Stadthaus, das zufällig an dem Weg lag, den Anne nehmen würde. Cromwell hatte dafür gesorgt, dass bequeme Zuschauerstühle mit dicken Polstern aufgestellt wurden und dass uns ein wenig Musik die Zeit des Wartens vertrieb.
    »Wir spielen nicht die geringste Rolle bei dem heutigen Spektakel«, sagte ich mitleidsvoll zu Cromwell. »Was ich über die Maßen amüsant finde, denn schließlich sind wir diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass es stattfindet.«
    Er hob eine Braue. »Lady Anne – das heißt, die Königin – hatte dabei wohl auch eine Hand im Spiel.«
    »Aber ihre Rolle war nicht so entscheidend wie Eure und meine.« Ich antwortete leichthin, doch mir war wohl bewusst, was ich damit über unsere Partnerschaft sagte. »Heute wird das Volk eine Parade von Roben und Titeln vorüberziehen sehen, derweil die wahre Macht unsichtbar bleibt.«
    »So war es schon immer.« Achselzuckend reichte er mir eine verdeckte Silberschale. Ich nahm sie entgegen; sie war eiskalt. Neugierig hob ich den Deckel ab.
    »Scherbet, Eure Majestät. In Persien nehmen sie es zu sich, um sich an heißen Tagen wie heute Kühlung zu verschaffen.« Cromwell nickte. »Ich kann es auch mit anderem Geschmack herstellen lassen, aber mir selbst ist Minze am liebsten.«
    Ich kostete davon; es war ein ausgezeichneter Gaumenkitzel. »Wundervoll! Crum, Ihr seid wundervoll!« Wie gelang es diesem Mann nur immer, auf so begnadete Weise alles angenehm – und möglich – zu machen? Nicht genug damit, dass eine von niemandem erwartete Königin gekrönt wurde – es gab noch ein Scherbet dazu, um die Sache zu versüßen.
    Gegen Mittag vernahm ich Trompetenschall vom Tower, und ich wusste, dass Anne unterwegs war. Eine volle Stunde verging, ehe der vordere Teil der Prozession vorübergezogen war. Angeführt wurde sie von zwölf Franzosen, vom Kopf bis zu den Hufen ihrer Pferde in blauen Samt gekleidet – ein Zeichen für Franz’ guten Willen. Nach ihnen kamen Junker, Ritter und Richter in ihren Festroben, die frisch gebackenen Ritter des Bath-Ordens in ihren Purpurmänteln, und dann der Hochadel: Herzöge, Grafen, Marquise, Barone, Äbte und Bischöfe in karmesinrotem Samt. Ihnen folgten die hohen Beamten Englands, Erzbischöfe, Botschafter, die Bürgermeister Londons und anderer Städte, die Ritter vom Hosenbandorden …
    Und endlich Anne. Wie ein kostbares Juwel wurde sie durch die Straßen getragen, in einer offenen Sänfte aus weiß verbrämtem Brokat zwischen zwei weiß gedeckten Rössern. Ein goldener Baldachin schützte sie vor den stechenden Strahlen der Sonne.
    Aber nicht vor den stechenden Blicken der Menge und nicht vor ihrem mürrischen Schweigen – nichts hätte sie davor schützen können, sie hätte sich denn hinter zwei Fuß dicken Steinmauern vergraben.
    Sie hielt den Kopf hoch erhoben, reckte das Kinn frech in die Luft – wie ein Schwan. Um ihren dünnen, geschwungenen Hals lag wie ein mächtiger Kragen eine Halskette aus unnatürlich großen Perlen. Sie war ganz in blendendes Weiß gekleidet – und das lange schwarze Haar hing ihr offen über den Rücken. Obwohl schwanger, war sie gekleidet wie eine Jungfrau: in Weiß und mit ungeflochtenem Haar. Obwohl verschmäht, hielt sie den Kopf so stolz wie Alexander der Große.
    Es war, als sei mein Wille ein lebendiges Wesen; sie dauerte mich, und mit meinem Willen wollte ich die Zuschauer zwingen, sie willkommen zu heißen, ihr ein Zeichen ihrer Zuneigung zu schenken. Hätte dieses Verlangen sie bewegen können, so hätte jeder Einzelne gejubelt.
    Annes Narr tollte hinter ihr drein und suchte das Volk zu beschämen und zur Freundlichkeit zu bewegen. »Ihr habt wohl alle die Räude, fürchte ich, und wagt es nicht, eure Köpfe zu entblößen!«, schrie er und riss sich selbst die Kappe herunter, um ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen – doch sie folgten diesem Beispiel nicht.
    Als Anne vorüber war – gefolgt von ihrem königlichen Haushalt, ihrem Kämmerer, dem Stallmeister,

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