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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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sie schmeckte nach Kirschen, und Anne hatte Stunden darauf verwandt, den Geschmack zu vervollkommnen. Ich selbst hatte dabei geholfen; jetzt musste ich unter irgendeinem aus dem Stegreif ersonnenen Vorwand davonhasten. Anne war beunruhigt und ließ sich nicht zum Narren halten; sie spürte, dass sich etwas Wichtiges ereignet hatte.
    Ich brauchte vier Stunden bis Crowley, ein grobschlächtig eingerichtetes Jagdhaus, das mein Großvater Edward gern als Erholungsort aufsuchte, wenn er den Tag über mit seinen Brüdern Clarence und Richard unterwegs gewesen war. Mir hatte es dort immer gefallen, obwohl es in beunruhigender Weise an die Kriege gemahnte. Es war behaglich dort – ein Haus, in dem man die Stiefel ausziehen und vor dem Kamin schnarchen konnte. Hier hatten Anne und ich auch die beiden hitzigen Tage während der Staatsreise im Jahre 1531 verbracht, als sie mich wieder und wieder beinahe in ihre Kammer gelassen hätte und mir doch im letzten Augenblick immer die Tür verriegelt hatte. Waren seither wirklich erst zwei Jahre vergangen?
    Nun sollte ich einer Herausforderung anderer Art gegenübertreten, nämlich in der Gestalt des päpstlichen Gesandten. Ich betrat das Jagdhaus und sah erfreut, dass ich als Erster eingetroffen war; dies verschaffte mir einen kleinen Vorteil. Ich schaute mich um. Wie anders es doch bei Tage aussah, wenn mein Blut nicht brannte, wenn ich nicht von Verlangen erfüllt war, das nach Befriedigung schrie. Diejenigen, die einen Sieg im Krieg mit einem Sieg in der Liebe vergleichen, sind Narren und haben vermutlich weder das eine noch das andere je erfahren.
    Ich hatte Zeit genug, mich zu langweilen, ehe ein Sonnenstrahl, der weit hinten im Osten auf der Straße einen Helm aufblinken ließ, mir die Ankunft von Klemens’ Beauftragtem ankündigte.
    Eine ausländische Macht auf englischem Boden, die heranmarschierte, um ihre Rechtsgewalt auszuüben – dies war das letzte Mal, dachte ich, dass man einen solchen Anachronismus erleben würde. Nie wieder. Ich hatte dafür gesorgt, dass man sich auf dem Kontinent derlei Anmaßungen aus dem Kopf schlug und dass sie für jeden patriotisch denkenden Engländer völlig unannehmbar geworden waren.
    Noch in meiner eigenen Kindheit hatte man alles Ausländische als »besser« betrachtet denn das Englische. Arthur musste eine ausländische Braut haben; die Dynastie der Tudors wäre als »königlich« erst bestätigt, wenn sich eine europäische Königsfamilie dazu herabließe, hineinzuheiraten. Und so war Katharina gekommen, und die Bauerntrottel hatten den Spaniern zugejubelt und ehrfürchtig dagestanden, als diese auf schlammiger Straße dahergestapft waren. Und wegen dieser kuriosen Reise vor mehr als dreißig Jahren schlich nun wieder eine Horde von Ausländern über einen ebenso schlammigen Pfad dahin und gedachte wiederum, sich in englische Angelegenheiten einzumischen.
    Ich grinste. In der Ferne hörte ich italienisches Geschnatter. Wir schrieben 1533, nicht mehr 1501. Ihre Zeit war vorüber. Ich war ein englischer König, und mein Weib war ebenfalls eine reinblütige Engländerin, und wir herrschten über eine Nation, die mit Stolz von sich sagte, sie sei »nur englisch«.
    Die zwitschernden päpstlichen Gecken erreichten den Eingang des Jagdhauses und verharrten dort, braun und schmächtig und verschlagen, bis man sie empfange.
    Als sie hereingeführt wurden und vor mir Aufstellung nahmen, musterte ich sie. Und was bei mir mit Feindseligkeit begonnen hatte, endete in Verblüffung. Waren dies die Männer, vor denen ich so lange Zeit in Ehrfurcht gestanden hatte? Was für ein Narr ich doch gewesen war!
    Ihr Anführer, vom Staub der Straße bedeckt und müde über alle Nervosität hinaus, reichte mir einfach und ohne feierliche Umstände das päpstliche Dokument, wie ein Bauer wohl eine Wurst weiterreicht. Ohne Zweifel hatte er andere Anweisungen erhalten, aber die einlullende Ungezwungenheit in der Jagdhütte und die Abwesenheit höfischer Zeugen machten es ihm allzu leicht, alles Ritual beiseite zu lassen.
    Ich nahm das Schriftstück ebenso sorglos entgegen, entrollte es umständlich und las es, ohne ein Gefühl zu zeigen.
    Es hätte mich nicht beunruhigen dürfen. Ich wusste – besser gesagt, ich hatte bestimmt, dass ich wisse –, dass Klemens (geboren als Giulio de’ Medici) nicht der Stellvertreter Christi war, sondern nur ein irregeleiteter Bischof. Er hatte keine Macht, ein geistliches Urteil über mich zu fällen. Keine Macht, keine

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