Ich, Heinrich VIII.
zur Tür ihres Gemaches. Sie ging hinein, gefolgt von ihren Frauen, und langsam schlossen sich die Türen und sperrten sie ein.
»Jetzt fehlt uns nur noch ein großer Stein, den wir vor die Tür rollen könnten«, bemerkte Norfolk.
»Damit der Erlöser – der Erbe, meine ich – ihn beiseite wälzen kann?«, fragte Nicholas Carew.
Wider Willen war ich entsetzt ob solcher blasphemischer Reden. Wie konnten sie es wagen, vor mir, dem Verteidiger des Glaubens, so leichtfertig über Christus zu sprechen? Das päpstliche Verdammungspergament fiel mir ein, und ich fühlte, wie ein dunkler Fleck sich über mir, meinem Hof, meinem Königreich ausbreitete … Nein, das war Unfug. Das geheime Pergament hatte damit nichts zu schaffen.
»Ihr werdet Euch wegen Ketzerei verantworten, wenn Ihr dergleichen Reden führt!«, fauchte ich.
Norfolk machte ein erschrockenes Gesicht. »Es war nicht böse gemeint, Euer Gnaden. Nur ein Scherz …«
»Ein Scherz im Namen meines Sohnes! Ein schlechter Scherz fürwahr!«
Die beiden wechselten einen Blick, der besagte: Der König ist verdrossen. Reize ihn nicht. Sie verbeugten sich und zogen sich zurück. Es war ein Blick, den ich jetzt immer öfter bemerken sollte: Ein Blick, der zugleich herablassend und angstvoll erschien.
Der August endete in einem glorreichen Schwall der Erfüllung. Die Ernte ward eingebracht, reicher als irgendeine in letzter Zeit. So geschwollen war das Obst an den Bäumen, dass seine sonnenwarme, staubige Schale schier zu tropfen schien. Wenn ich die Zähne in eine frisch gepflückte Birne oder Pflaume schlug, spritzte mir der Saft aus dem Mund. Warm und golden schien mir die Sonne auf den Kopf, und ich sah alles als ein Omen: Die Hand Gottes, die auf mir ruhte.
Der siebente September. Der Hochzeitstag von Charles Brandon und Katharina Willoughby, wenn alles nach Plan verlief. Der Gedanke warf einen Schatten über den Morgen, als ich mich daranmachte, aufzustehen, meine Gebete zu sprechen und den Tag zu beginnen. Ich betete, sie möchten glücklich sein, doch ich merkte, dass es nur Worte waren, Worte, die nicht aus meinem Herzen kamen. Ich sah nicht Katharina im Brautschleier, sondern Maria in ihrem marmornen Grab. Sie war auf den Tag drei Monate tot.
In der Hoffnung, die Trauer, die sich wie ein Fleck auf dem Tag ausbreitete, abzuschütteln, ließ ich mir ein Pferd bringen und ritt allein gen Eltham Palace. Er lag etwa drei Meilen weit von Greenwich, ein wenig abseits vom Flusse, auf einem windigen Hügel in uralten Wäldern.
Wie oft war ich hier als Prinz geritten! Alle hundert Schritt kehrte ich um fünf oder sechs Jahre in die Vergangenheit zurück, und auf dem Gipfel des Hügels angelangt, war ich kaum zehn Jahre alt, ein Zweitgeborener. Wie oft hatte ich genau hier gestanden und von der Zukunft geträumt und zur Themse hinübergeschaut, die in der Ferne blinkte wie ein glitzerndes Band! Dieser Junge war mir plötzlich sehr nahe – dieser einsame, wunderliche kleine Junge –, und gern hätte ich die Hand nach ihm ausgestreckt und ihn beruhigt: »Es hat sich alles zum Guten gefügt, Bub.«
»Euer Gnaden!« Ein Page kam im Galopp zu mir herauf, und seine Stimme zitterte. Ich war wieder in der Gegenwart – und Annes Stunde war gekommen. Ich hatte keinen Blick mehr für Eltham, für das alte Anwesen, wo ich gespielt und mit Vater gestritten und Arthur beneidet hatte. Das war vorbei; die Zukunft erwartete mich zu Greenwich. Ich kehrte zum Fluss zurück und ritt wie ein Wahnwitziger zu dem rot-weißen Palast, wo Anne in den Wehen lag.
Ich hatte nur einen Gedanken – mein Sohn! Die Farben von Greenwich kümmerten mich nicht, und es war mir gleich, wie verschwitzt und schmutzig ich war oder wie ich stank. Ich band mein Pferd an und stürzte, Knechte und jeden, der mir entgegentrat, beiseite winkend, hinein.
Es war ein weiter Weg bis zu Annes Wochenstube. Überall erschienen wunderschöne, hübsch geputzte Bedienstete, deren ganzes Trachten darauf gerichtet war, mich aufzuhalten und vom Wege abzubringen. Warum? In diesem Augenblick nahm mein Geist es nicht zur Kenntnis.
»Eure Majestät … wenn Ihr nur einen Augenblick verweilen … einen Becher Wein …«
»Eure Majestät – die Damen sind noch bei ihr …«
Ich stieß sie beiseite, als wären sie Insekten, und endlich stand ich vor der äußeren Tür zu Annes Gemächern. Zwei Frauen, denen sichtlich unbehaglich zumute war, wollten mir anscheinend den Weg versperren.
»Eure Majestät, die Königin
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