Ich, Heinrich VIII.
jemand anderes gewesen. Eine Tochter.
England hatte noch immer keinen Thronerben. Wo eine Prinzessin gewesen war, gab es nun zwei. Aber vor Gott war kein Ding unmöglich. Er hatte Sarah noch im Alter einen Sohn geschenkt. Er hatte Hannah einen Sohn geschenkt, nachdem sie mit Elias gebetet hatte. Er hatte der hl. Elisabeth einen Sohn geschenkt, obgleich auch sie zu alt gewesen war, um noch Kinder zu bekommen. »Vor Gott ist kein Ding unmöglich«, hatte der Engel zu Abraham gesagt, als dieser an Gottes Verheißung gezweifelt hatte. Gott hätte mir leicht einen Sohn schenken können, aber er hatte es nicht getan, und so musste ich der Wahrheit ins Auge sehen: Er hatte mir den Sohn absichtlich vorenthalten. Aber warum? Warum?
Ich starrte so lange auf die heilige Hostie, dass sie vor meinen Augen zu schmelzen, zu schimmern und zu tanzen schien. Antworte mir!, schrie meine Seele. Antworte mir!
Die Hostie pulsierte stumm, und mein Geist lauschte angestrengt … nichts. Wie wagte es Gott, mir dies anzutun? Ich trat vor ihn hin, ratlos und mit gebrochenem Herzen, und fand nichts als ein anmaßendes Schweigen. So also behandelte Er Seine Diener?
Antworte mir! Wenn Gott Schultern gehabt hätte, ich hätte sie gepackt und Ihn geschüttelt. So nun fühlte ich einen starken Drang aufzustehen, die heilige Hostie zu ergreifen und sie anzubrüllen.
Blasphemie aller Blasphemien! Was dachte ich da? Aber so macht Satan sich unsere schwächsten Augenblicke zunutze und stürzt uns in Sünde.
O Gott – ich habe solche Angst – der Teufel hat mich in seinen Klauen, und ich habe so wenig Kraft, mich gegen ihn zu wehren. Mein Herz ist schwer und voller Schmerzen. Wann habe ich Dein Missfallen erregt? Warum bestrafst Du mich so? Antworte mir!
Nichts als tiefes Schweigen. Gott hatte mich also ganz und gar verlassen. Ich hatte Ihm so sehr missfallen, dass Er nicht einmal mehr mit mir sprechen wollte. Er hatte mich dem Teufel überlassen.
Ich fühlte mich so kraftlos, dass ich kaum stehen konnte, als ich die Kapelle verließ.
Draußen warteten Leute. Ja, der ganze Hof hatte sich versammelt, um mich zu sehen und zu betrachten. Ich durfte von meinem Streit mit Gott vorläufig nichts offenbaren, durfte niemanden wissen lassen, dass das Oberste Haupt der Kirche in England einen Zank mit seinem Befehlshaber gehabt hatte.
Ich hob die Hände. »Gott sei gepriesen!«, rief ich (»Gott sei geprügelt!«, dachte ich). »Er hat uns heute eine Prinzessin geschenkt, wie England sie schöner nie gesehen!«
Sie jubelten mit halbem Herzen, und Ratlosigkeit spiegelte sich in ihren Gesichtern. Aber es erleichterte sie, meinem Beispiel folgen zu können, und ich war froh, den Kopf behalten und meine Rolle gespielt zu haben. Immer klarer erkannte ich, dass es von unermesslichem Vorteil war, wenn man es verstand, seine eigenen Gedanken für sich zu behalten. Der Geist hat keine Fenster; diese schlichte Wahrheit hatte ich mir bis zu diesem Tage nicht dienstbar gemacht.
»Aye!« Ich grinste. »Prinzessin Elisabeth soll in zehn Tagen, von heute an, getauft werden – und wir hoffen, ihr alle werdet an der Feier teilnehmen.«
Da ihnen nun jeder weitere Grund zu bleiben, fehlte, und da ihr Verlangen, mich weinen oder toben zu sehen, vereitelt war, zerstreuten sie sich.
Alle bis auf Cromwell, der mir in diskretem Abstand in meine Gemächer folgte. Ich winkte ihm, und er schlüpfte herein wie eine gehorsame Schlange. Und er blieb stehen und beobachtete mich.
»Es steht schlecht«, sagte ich. »Sehr schlecht.« Verheerend, genau gesagt. Das Herz in der Brust tat mir weh, aber Cromwell gegenüber würde ich es nur in politischen Farben schildern.
»Es sieht schlecht aus«, pflichtete er mir bei. Seine ersten Schritte bestanden oft darin, dass er einfach wiederholte, was ich gesagt hatte. Damit bewegte er sich auf sicherem Boden.
»Ich sehe aus wie ein Narr!«, brach es aus mir hervor; plötzlich sah ich mich mit den Augen des gemeinen Mannes – und auch mit den Augen Franz’ und Karls. »Ich werde nun allen Proklamationen einige Buchstaben hinzufügen lassen müssen: ›Entbindung und Geburt einer Prinzessin‹«, kläffte ich wie unsinnig, und dabei dachte ich an die hellen, makellosen Pergamente, die ich für die Regenten ausgewählt hatte. Oh, meine Eitelkeit! Wie muss Gott über mich gelacht haben, als er vom Himmel auf mich herabblickte.
»Ja. Ihr seht … töricht aus. In diesem Augenblick, vielleicht. Aber nächstes Jahr um diese Zeit werdet Ihr
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