Ich, Heinrich VIII.
Prior und hielten ihn als Geisel gefangen. Ich trat allein zur Tür des Privatquartiers und stieß sie auf.
Vor mir gähnte der an einen Fiebertraum gemahnende Versuch, eine orientalische Lasterhöhle nachzubauen. Der ganze Fußboden war mit Kissen bestreut, und Wände und Decke hatte man mit billigem, bunt gefärbtem Kattun verhängt. Stühle oder ein Bett gab es nicht, nur Matratzen und Kissen und Liegepolster. Im Zimmer verteilt standen einige bunte Weidenkörbe. Der Geruch von Weihrauch vermochte den Verwesungsdunst nicht zu überdecken.
Ich brach in Gelächter aus. Das Ganze war so jämmerlich, so drollig. Dann aber sah ich die Juwelentruhen in der Ecke.
Ich klappte sie auf und erwartete, imitierte Edelsteine zu finden, so exotisch und lächerlich wie dieses ganze Sultansnest. Aber sie waren echt. Erstaunt nahm ich einen großen Rubin heraus, rot wie Taubenblut und geschwollen vor Kostbarkeit. Daneben lag eine Perle, eine schwarze Perle – natürlich war sie nicht wirklich schwarz, sondern von ölig tiefem Grau.
»Woher hast du die?«, fragte ich den Prior, der mit wütender Miene in der Tür stand, bewacht von Neville und Boleyn.
»Sie sind … Geschenke an das Kloster.«
»Und sie wurden guten Glaubens gegeben, nicht wahr? Und ihr habt dafür gelobt, täglich für die Seele des Schenkenden zu beten?«
»Ja.«
»Und tut ihr das auch? Haltet ihr euer Versprechen?« Bevor er mit pfeifender Stimme eine neuerliche Lüge hervorbringen konnte, schnitt ich ihm das Wort ab. »Schwöre keinen Meineid. Wir kennen die Antwort bereits!«
Was mochten die großen Deckelkörbe enthalten? Ich klappte den nächstbesten auf.
»Nein!«, kreischte der Prior und versuchte, sich loszuwinden. »Nicht!«
Ich sah eine schnelle Bewegung, und etwas Dunkles sprang schier aus dem Korb. Ich warf den Deckel wieder hin, aber schon sah ich, wie etwas Langes, Schwärzliches wie Quecksilber zwischen den Kissen verschwand.
»Das sind meine Tierchen. Sie – sie« – er zerbrach sich den Kopf auf der Suche nach einem überzeugenden Grund – »sie halten die Ratten fern.«
»Narr! Deine Mönche sollen die Ratten fern halten!«, donnerte ich. »Bin ich von Sinnen? Träume ich? Da finde ich ein Kloster voll geiler, betrunkener Mönche, Gebäude und Gärten sind verwahrlost, niemand betet – und der Herr und Meister all dessen wohnt in einem Liebesnest, das ein Schulknabe ersonnen haben könnte, und hält sich Schlangen als Schoßtiere!«
»Es steht alles in dem Bericht, den ich Euch gegeben habe, Euer Gnaden«, sagte Cromwell selbstgefällig.
Seinen Bewachern entronnen, begann der Prior nunmehr, zwischen den Kissen nach der Schlange zu wühlen. »Das war Cuthbert, der da geflohen ist«, sagte er.
Darauf erhoben meine Männer ein hysterisches Gelächter und ließen sich nach links und rechts auf die Seidenkissen fallen.
»Ihr werdet Cuthbert verletzen! Bitte, Ihr Herren«
»Cuthbert!«, wiederholte ich. »Nennst du deine Schlange nach einem Heiligen? Wahrlich, allein dadurch sprichst du dein eigenes Urteil.«
Die Männer vergnügten sich in der nachgeäfften Ungläubigen-Höhle. Ich ließ sie kobolzen, Cuthbert quälen (falls er noch in der Kammer geblieben war) und auf das Abendessen warten, derweil ich hinausschlenderte; ich fühlte mich zu dem Bereich gezogen, der für gewöhnlich die Einzelzellen der Mönche enthielt. Wenn überhaupt irgendwo ein Schimmer von Religion in diesem verfallenen Hause Gottes vorhanden war, dann würde ich ihn hier finden.
An einer Seite des ursprünglichen Klosterbaus befanden sich die kleinen Zellen. Vielleicht war St. Osweth von einer Gruppe Einsiedler ins Leben gerufen worden. Manche Klöster waren so gegründet worden. Ein Heiliger und seine Anhänger zogen sich aus der Welt zurück, und dann lockte ihr frommer, heiligmäßiger Ruf die Pilger an, und der Ort wurde zu einem religiösen Treffpunkt – mit all der Betriebsamkeit, der die heiligen Männer eigentlich hatten entrinnen wollen. Aber kein heiligmäßiger Einsiedler hätte die Schmach dessen ertragen, was aus St. Osweth geworden war. Selbst die Häuser der Prostitution in Southwark waren (sagt man mir) im Vergleich dazu sauber und freundlich.
Diese Hälfte von St. Osweth lag verlassen da, und der Verfall war offenkundig. Dächer waren eingestürzt, und junge Bäumchen sprossen in den Mauerritzen. Eiszapfen hingen in den Fensterhöhlen wie groteske Glasscheiben. Dennoch war mir hier reiner und klarer zumute als irgendwo sonst auf dem
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