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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Gelände. Vielleicht sind Gedanken, Wünsche und Motive noch lange zugegen, wenn die Menschen, die sie dachten, längst verschwunden sind, und vielleicht umschweben sie einen Ort wie eine Aura. Was immer es war, plötzlich fühlte ich mich gesegnet, und ich wusste, ich stand auf heiligem Boden. Ich hatte also doch noch eine Wallfahrt gemacht.
    Sogleich begann ich zu beten. Zuerst, zögernd und lautlos, für England. Dann, leise, um persönlichere Dinge.
    »Gott, ich bitte Dich, erfülle mich mit Weisheit, damit ich Dir besser dienen kann. Zeige mir Deinen Willen in allem, was ich tue, auf dass ich ihm gehorchen kann. Zeige mir auch, wenn ich in die Irre gehe, auf dass ich zum rechten Pfad zurückkehre.« Lass mich nicht zum Frevel in Deinen Augen werden – wie den Prior.
    Der Wind erwachte. Ich spürte die Kälte ringsumher, und mein Bein fing an zu schmerzen. »O mein Herr und Gott, nimm diese Krankheit von mir!« Meine Worte verwandelten sich zu Dampfwolken in der kalten Luft. »Ich bitte, ich beschwöre Dich, ich flehe Dich an … ich kann es nicht länger ertragen! Ich weiß, es ist ein Zeichen Deiner Ungnade« – die Worte purzelten jetzt hervor, ohne Zurückhaltung, ohne Schicklichkeit –, »doch wo habe ich versagt? Lass es mich sehen, heiße mich etwas tun, und ich will es tun! Aber narre mich nicht länger mit leiblichen Gebrechen!«
    Ich haderte mit Gott – ja, ich war wütend über die Art, wie Er mich für eine unbekannte Sünde bestrafte. War das etwa gerecht? Kein irdischer Herrscher hätte sich so verschlagen gezeigt.
    »Wenn ich einen Untertan bestrafe, gebe ich ihm immer Gelegenheit, vorher zu bereuen. Warum hast Du mir diese Höflichkeit nicht erwiesen?« Ein schmerzhafter Stich schoss mir durch das Bein. »Sprichst Du so mit mir? Auf diesem Umweg? Weißt Du keinen besseren Mittler als ein krankes Bein?«
    Jetzt würde Er mich zu Boden schlagen – ganz gewiss! Alles, nur nicht mehr dieses unverschämte Schweigen, diese himmelweite Ferne.
    »Und meine Männlichkeit nimmst Du mir auch! Ich bitte Dich, lass mich meinem Weibe wieder ein Gatte sein!«
    Zorn und Furcht ließen mich auf die Knie fallen, und ich schloss die Augen und schrie in unverhohlenem Schmerz zu Gott.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so verharrte, aber die Zeit, die verging, schien mir keine irdische zu sein. Als ich taumelnd auf die Beine kam, verspürte ich eine flüchtige Süße, die mir versprach, dass sich noch alles zum Guten wenden werde.
    Oder täuschte ich mich?
    Als wir an diesem Abend in dem komischen Sultansnest hockten, bemerkten meine Männer mehrmals, wie still und milde ich wirkte.
    »Er wird freundlich und familiär im Alter«, meinte Neville.
    »Wir sind es, die alt werden«, widersprach Carew. Seine Herzbeschwerden hatten ihm einen Schrecken eingejagt. »Der König wird nur königlicher.«
    Aber Cromwell musterte mich mit schmalen Augen. Er suchte etwas zu entdecken – er, der er davon lebte, dass er es vermochte, die geheimen Gedanken anderer Menschen zu lesen.

    Am nächsten Morgen verließen wir St. Osweth so früh wie möglich. Es würde geschlossen werden, sobald ich den Befehl unterzeichnet hätte. Bis dahin hatte es keinen Sinn, den Prior zu bestrafen. Mochte er sein Schlangennest noch ein Weilchen genießen, ehe man ihn hinauswürfe, auf dass er sich auf ehrliche Weise seinen Lebensunterhalt verdiente. Allerdings waren wir umsichtig genug gewesen, ihn seiner Kleinodien zu entledigen. Meine Satteltaschen waren zum Bersten voll von Edelsteinen.
    Das Unwetter war über den Kanal davongezogen und suchte nun Frankreich heim. Hoffentlich würde es Franz das Jagdvergnügen verderben. Seit einiger Zeit, so berichtete man, verbringe er unmäßig viel Zeit mit der Jagd; rastlos ziehe er von Jagdhaus zu Jagdhaus, fieberhaft dem Wilde auf der Spur … Fieberhaft … ja, den Gerüchten zufolge litt er an der gefürchteten Franzosenkrankheit, und die war der Grund für seine glitzernden Augen und sein unberechenbares Benehmen.
    Gerüchte. Ob Franz oder Karl wohl schon welche über meine eigenen Gebrechen gehört hatten?

LVII
    I m Licht des Morgens erschien mir St. Osweth, das nun hinter uns lag, ebenso traumartig wie die Tage, die gerade vergangen waren. Sie hoben sich ab von unserem gewöhnlichen Leben, waren anders als alles darin. So war es ein unsanftes Erwachen, als Cromwell an meine Seite kam und anfing, von den Klöstern zu murmeln, und dass es nötig sei, jetzt etwas gegen sie zu unternehmen; St. Osweth sei

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