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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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nur ein mildes Beispiel und Abbild dessen gewesen, was ich in über achthundert anderen solcher Einrichtungen überall in England würde antreffen können. Er bedrängte mich, ihm nun die Erlaubnis zu geben, sie alle zu schließen und ihren Besitz zu beschlagnahmen.
    Seine Gier nach ihrem Untergang schien das Wichtigste zu sein; seine Sorge um ihren moralischen Zustand war dagegen zweitrangig. Sein Drängen weckte meinen Unwillen.
    »Nicht jetzt, Crum!«, kläffte ich, und die kalte, klare Luft schien jedes meiner Worte einzukapseln, sie zu umschließen wie mit einer Schachtel. Verstand dieser Narr denn nicht, dass ich im Begriff stand, meine Tochter zu besuchen, die ich seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte? Meine Tochter, die ich liebte und mit der ich doch verfeindet war? Menschliche Gefühle – auf Crums Waagschale fielen sie nicht ins Gewicht. Es sei denn, man hätte sie dazu benutzen können, jemanden zur Strecke zu bringen.
    Und ich war so nervös, so bang; mein Herz klopfte so laut, dass es das Knurren meines leeren Magens übertönte. Den Hunger spürte ich nicht, so sehr war ich erfüllt von Furcht und Freude ob der nahen Ankunft in Beaulieu. Ich würde Maria sehen; wir würden miteinander sprechen; alles würde sich klären, denn die Liebe überwand alle Schranken.

    Beaulieu: Eine wunderschöne königliche Residenz aus roten Ziegelsteinen, eine Miniaturausgabe von Hampton Court beinahe. Maria war hierher befohlen worden, um sie von ihrer Mutter zu trennen; Katharina sollte wissen, dass die Dinge nicht mehr so waren wie einst. Das alles richtete sich gegen Katharina; ich hatte damit nicht auch Maria von ihrer Vergangenheit abschneiden wollen. Noch mich von der meinen. Maria residierte hier – wie schon zu Ludlow – in vollem Staat als königliche Prinzessin. Zu ihrem Haushalt zählten etliche Hundert Bedienstete, wie es ihrem vermeintlichen Rang zukam.
    Beaulieu rückte am Horizont heran; die rötlichen Ziegelmauern ragten frech vor dem wilden blauen Himmel. Als wir näher kamen, sahen wir Knechte und Bedienstete, die den Schnee beiseite schaufelten; sie warfen glitzernde weiße Wolken über ihre Schultern.
    In der äußeren Wachstube warteten wir. Unser unangemeldeter Besuch stürzte den Haushalt in Verwirrung, und alles beeilte sich hastig, die Ordnung wiederherzustellen. Das aber wollte ich nicht.
    »Nein, wir gehen jetzt hinein!«, erklärte ich und drang in den gefliesten, leeren Empfangsraum ein.
    »Euer Gnaden … Eure Majestät …« Ein junger Diener erstarrte in Ehrfurcht.
    »Ist die Kammerherrin …« (Mit welchem Titel sollte ich sie bezeichnen?) »… meiner Tochter zugegen?«
    Lady Coopey, Marias oberste Kammerzofe und Hausverwalterin, trat ein und rückte noch ihre Haube zurecht. »Eure Majestät.« Sie kniete nieder.
    Ich hob sie auf. »Genug davon. Ich will mit meiner Tochter sprechen. Die anderen« – ich deutete auf meine Begleiter, die halb erfroren und halb verhungert dastanden – »möchten einen Platz vor dem Feuer und an Eurer Tafel. Es ist doch bald Essenszeit, nicht wahr?« Der Duft von Schmorfleisch und frisch gebackenem Brot hatte es mir verraten. Mein eigener Hunger war von dem Verlangen, Maria zu sehen, unterdrückt worden.
    »Jawohl, Eure Majestät.«
    »Dann sorgt dafür.« Ich wedelte mit der Hand. »Was uns selbst betrifft, so wollen wir an einem Orte warten, wo wir ungestört sind.«
    Dann stand ich in dem kleinen Oratorium, das der Kapelle benachbart war, und betrachtete die Einrichtung. Betstühle. Heiligengemälde. Und zwei Steine, die nebeneinander unter dem Bildnis der Jungfrau Maria aufgestellt waren. Ich wusste nicht, was sie bedeuten sollten.
    Die Tür öffnete sich. Maria trat ein.
    Sie war eine Frau.
    Dies war der unerwartete Gedanke, der mir jäh in den Sinn kam, als ich sie gewahrte.
    »Maria!« Wir umarmten einander. Dann hielt ich sie mit ausgestreckten Armen vor mich und betrachtete sie.
    Sie war ein Kind gewesen, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, und da hatte ich sie kaum wahrgenommen, so sehr war ich vom Anne-Wahn befeuert gewesen. Mit sechzehn hatte sie noch manchen Zug des kleinen Mädchens bewahrt, des Kindes, das ich gekannt hatte.
    Jetzt war sie achtzehn, und das alles war verschwunden. Sie hatte sich verwandelt, und zwar in meiner Abwesenheit.
    »Eure Majestät.« Sie verbeugte sich tief.
    »Nein. Vater«, beharrte ich und hob sie auf.
    »Wie Ihr es wünscht.« Diese Worte, präzise, geziemend, distanziert, sagten

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