Ich, Heinrich VIII.
Cromwell mit sicherem Blick. »Viele von uns teilen Euer Interesse an der Neugestaltung englischer Häuser.«
»Ich glaube, wir alle haben das Verlangen, uns stets neu zu schaffen«, sagte ich. »Bei gewöhnlichen Menschen kann dieses Verlangen dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie französische Fenster in ihr Haus einbauen. Bei einem König muss es geschehen, indem er das Königreich verfeinert und erneuert. England hatte längst schon einen Gärtnermeister nötig – einen Gärtner, der das Unkraut jätet, giftige Ranken herausreißt, schädliche Tiere vertreibt – seien es Wölfe, Geier, Maulwürfe oder Schlangen – und das Land zur Blüte bringt.«
Jetzt starrten sie mich alle an, aber ich redete kühn weiter. »Wenn ein Garten so bepflanzt wird, gibt es anfangs mancherlei Zerstörung und scheinbares Chaos. Aber aus solcher Umwälzung wächst Ordnung, Schönheit, Frieden.« Ich musterte sie gründlich. »Versteht Ihr? Ich muss grausame Dinge tun, um Englands Glorie zum Vorschein zu bringen, eine Glorie, die lange Zeit von Unkraut erstickt wurde.«
Ich nahm noch einen langen, tiefen Zug von dem irischen Wasser. »Das Unkraut, die Tiere, der Teufel selbst – sie alle werden schreien und sich in Sicherheit zu bringen trachten. Aber ich kann unterscheiden, was falsch und was richtig ist, und niemand wird mich daran hindern, zu tun, was ich tun muss um Englands willen.«
»Ihr seid wahnsinnig!«, rief Chapuys aus. »Ihr redet wie Caligula und wie jeder Tyrann seit Pharao: ›Ich kann unterscheiden, was falsch und was richtig ist!‹ Hört Ihr Euch denn nicht, irregeleiteter Cäsar?«
»Ich sagte Euch ja, sie werden schreien, nicht wahr?« Ich schaute meine Männer an. »Natürlich schreist du, päpstliche Viper. Du hast ja alles zu verlieren, du und dein Kaiserherr, wenn England noch stärker wird. Allzu lange habt ihr euch in unsere Angelegenheiten gemischt, habt ihr versucht, uns zu benutzen, habt ihr unser Geld genommen, um eure eigennützigen Kriege damit zu finanzieren, Kriege, die Karl genützt haben, aber nicht uns! Der Bischof von Rom hat gehustet und mit seiner Exkommunikation gegen uns gefuchtelt. Der Kaiser trachtet nach meinem Gold und nach meiner Tochter, während Klemens mir aufs Haupt speit. Pfui, sage ich! Ich werde dich mit der Wurzel ausreißen, jede Spur von dir austilgen. Hinaus aus England, fauliges Aas!«
»Aye«, sagte Cromwell. »Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Oh, einige von uns mögen weiter in die Zukunft schauen als andere« – er nickte Henry Howard und Weston zu –, »aber selbst die Konservativsten unter uns, wie Neville mit seinen rostigen Rittermanieren – passt Euch eigentlich die Rüstung von 1513 noch, Edward? –, sind Engländer, reinblütige Engländer, und wir wollen unser England wieder für uns haben.«
»Euer König ist wahnsinnig«, entgegnete Chapuys. »Das ist die Hauptsache, die zu übersehen Ihr bei all Eurem Geschwätz über ›England‹ offenbar fest entschlossen seid.«
»Wahnsinn und Größe gehen oft Hand in Hand«, gab Cromwell zu bedenken. »Täuscht Euch nicht. Mag das Volk auch murren über Königin Anne, es liebt doch die Engländerin in ihr. Und Eure dumme Katharina tut das Einzige, was das Volk unfehlbar in Raserei versetzen würde, wenn es nur davon hörte: Sie wendet sich an ausländische Mächte, um in ihrer Sache Recht zu bekommen. Aber meine Agenten sind überall im Lande eifrig damit beschäftigt, dem Volk diesen … Treuebruch bekannt zu machen.«
»Eure Agenten«, flüsterte Chapuys. »Ihr habt in der Tat in Italien ›studiert‹.«
»Die Renaissance hat viele Facetten.«
In der Nacht, als sie schnarchend am Feuer schlummerten, kroch ich davon, um zu tun, was mein schmerzendes Bein erforderte. Weit hinten in der Finsternis warf ich den eitergetränkten Verband weg und legte tastend einen neuen an, den ich mit meiner Hose bedeckte. Die Wirkung des irischen Uisgebeatha war verflogen, und nichts linderte das krampfhafte Pochen in meinem Bein. Hastig schüttelte ich meinen Arzneibeutel, dass zwei Pillen herausfielen; ich schluckte sie ganz. Dann kroch ich zurück an meinen Platz vor dem Feuer.
Als die Medizin zu wirken begann und das Feuer vor mir niederbrannte und mit meinen Träumen verschmolz, fiel mir plötzlich ein, wie sonderbar es war, dass Cromwell nicht widersprochen hatte, als Chapuys behauptet hatte, ich sei wahnsinnig.
LVI
E s gab kein richtiges Morgengrauen, sondern nur ein Schwinden der Finsternis, als unsere
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