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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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kleinen Klumpen zwischen meinem Mund und meinem Magen fest. Das und mein galliger Zorn ließen mich schier ersticken. Zu gern hätte ich Will an meiner Seite gehabt, aber der war von Beaulieu aus zum Hause seiner Schwester weitergeritten. Von den anderen war mir keiner recht – nicht in diesem Augenblick, da ich erkannt hatte, dass ich meine Tochter verloren hatte, dass ich meine »Große Sache« durch geschicktes Gaukeln mit päpstlichen Bullen und Dekreten und Konsekrationen und Parlamentsverfügungen nicht aus der Welt geschafft hatte, dass Verrat in den Herzen der Menschen lauert und in den meisten Fällen ungebrochen und unentdeckt bleibt. Die Grenze musste und würde quer durch Familien und alte Treueverhältnisse gezogen werden. Sogar bei mir selbst.
    Aber meine Tochter verloren zu haben – nein, das war zu hart. Ich konnte es nicht ertragen. Ich würde es irgendwie mildern. Aber dann erinnerte ich mich, dass ich versucht hatte, es zu mildern, und dass es Maria gewesen war, die es nicht gewollt hatte.
    Also gut.
    Ich winkte George Boleyn, heranzukommen und an meiner Seite zu reiten. Er tat es mit dankbarer und verwirrter Miene.
    »George, Ihr seid mir recht ans Herz gewachsen«, sagte ich; es machte mir Freude, ihn noch mehr zu verwirren. »Ich will Euch deshalb ein Geschenk machen. Fortan soll Beaulieu Euch gehören.«
    Jawohl, Maria musste das Haus dem Bruder der Königin abtreten.
    Er war wie vom Donner gerührt, wie jeder es ist, wenn er ein ganz und gar unverdientes Geschenk bekommt.
    »Sobald Lady Maria sich entfernt hat und ihr Haushalt abgezogen ist, mögt Ihr es in Besitz nehmen.«
    Seinen gestammelten, unzureichenden Dank tat ich mit einer Handbewegung ab.
    Fünf Meilen weiter winkte ich Chapuys an Boleyns Platz an meiner Seite. Ich hielt eine Audienz auf der Straße, so sicher, als hätte ein Sekretär die Abfolge vorbereitet.
    Chapuys kam nach vorn geritten, wie stets erpicht auf ein Geplänkel. Er sollte nicht enttäuscht werden.
    »Botschafter«, begann ich, »Ihr sollt in die Unterredung zwischen Lady Maria und mir eingeweiht werden. Ich habe ihr verboten, sich weiterhin als ›Prinzessin‹ zu gebärden, und ihren Haushalt aufgelöst. Beaulieu habe ich soeben Boleyn zum Geschenk gemacht.« Mit dem Kopf deutete ich auf den grinsenden George. »Sie wird in den Dienst der Prinzessin Elisabeth gehen. Ohne es auszusprechen, hat sie sich geweigert, den Inhalt des bevorstehenden Treueeids anzuerkennen. Damit ist sie zur Verräterin geworden.«
    »Worin besteht dieser Eid?«
    Wie oft sollte mir diese Frage noch gestellt werden – diese verfluchte, verhasste Frage?
    »Wer ihn leistet, erkennt die Prinzessin Elisabeth als einzige und rechtmäßige Thronerbin an. Das ist alles.«
    »Er erkennt aber implizit auch an, dass Maria unehelich geboren ist, weil Eure Ehe mit ihrer Mutter keine Ehe war, weil sie auf einem Dispens gründete, der nicht galt, weil der, der den Dispens gewährte, nicht die Macht hatte, ihn zu gewähren, weil er überhaupt keine Macht hat?«
    »Implikationen – aber sie werden nicht ausgesprochen! Man beschwört das, was ausgesprochen, nicht das, was impliziert wird.«
    »Die Antwort eines Rechtsgelehrten. Nun, dann sollte Euer ehemaliger Kanzler More in der Lage sein, diesen Eid ohne Zögern abzulegen.«
    »More wird ihn ablegen. Er ist ein vernünftiger Mann; er wird nicht an ›Implikationen‹ herummäkeln. Aber die … von Euch vertretenen … Betroffenen werden es nicht können, denn das, was in dem Eid ausgesprochen wird, ist ihnen zuwider, nicht die Implikationen.«
    »Gott wird ihnen beistehen müssen.« Er lächelte selbstgefällig. »Gott und seine Agenten«, fügte er hinzu.
    »Ihr droht mir also? Aber freilich. Nun, ich danke Euch für Eure Ehrlichkeit.« Ich entließ ihn ebenso leichthin wie bei einer Palastaudienz. Er kannte die Regeln.
    Schweigend ritt ich für mich allein dahin. Der Januarnachmittag ringsumher war stechend hell und scheinbar freundlich. Derselbe Winter, der zwei Tage zuvor versucht hatte, mich zu ermorden, umwarb mich jetzt mit all seinem Geschick. Er trug den reinen, blauen Himmel zur Schau, der sein Markenzeichen war, und all die Lichtspielereien, die ihm eigentümlich sind: Die Schatten waren blau, nicht schwarz; der gelbrote Sirup der Sonne sammelte sich in kleinen Mulden und Schalen in der aus Schnee geformten Landschaft; eine gleißend strahlende Schneewehe schien innerlich zu pulsieren. Und dann tauchte London am Horizont auf.
    Es war Zeit

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