Ich, Heinrich VIII.
meine. »Ich kann nicht den Irrtum fördern, und beginge ihn jemand, den ich – gegen meinen Willen! – liebe, so sehr ich es auch wünschte. Denn selbst wenn er sich auf dem rechten Wege glaubt und ich ihm, wider besseres Wissen und all meine Überzeugung, folge – so bin ich es, die der Verdammnis anheim fällt!«
Maria und ich: Wir liebten einander, wenngleich andere uns bedrängten, es nicht zu tun. Ich hörte ihre Not, und sie jammerte mich. Aber ich konnte nichts anderes sagen als: »Dann bist du eine undankbare, treulose Tochter! Ich bin dein rechtmäßiger Souverän, und du musst dich mir unterwerfen. Und nicht länger sollst du im Stande einer Prinzessin leben, denn du bist keine Prinzessin, sondern ein Bastard wie Heinrich Fitzroy. Es betrübt mich«, fügte ich hinzu. Ich wollte sanft zu ihr sein. »Die Sünde erscheint uns nicht immer als Sünde. Aber wir müssen sie als Sünde anerkennen, wenn Unser Herr oder die Heilige Schrift sie als solche erklärt, ungeachtet unserer inneren Gefühle in diesem Fall. Die Wahrheit aber ist, dass deine Mutter – trotz ihrer Frömmigkeit – nicht meine wahre Gemahlin war.«
»Aber die Großhure ist es?«, weinte sie. »Gott selbst nennt dies Hohn!«
»Dir kommt es nicht zu, Gott auszulegen oder für ihn zu sprechen!«, brüllte ich. »Das ist Blendwerk des Satans!«
»Nein, ich lege ihn ja nicht selbst aus. Das wäre protestantisch, und damit habe ich nun gewiss nichts zu schaffen! Ich folge den Auslegungen der Kirche, so schwer es mich ankommt.«
»Ich bin die Kirche!«, rief ich. »Gottes Gesetz hat mich dazu gemacht!«
»Bei allem Respekt, Eure Majestät – Ihr selbst habt Euch dazu gemacht. Nicht Gott, nicht Sein Gesetz.«
Pfui über sie! Sie ließ sich mit meinem Leben nicht versöhnen.
»Es betrübt mich, Maria, dass du diese Worte sprichst.«
Nimm sie zurück!, flehte ich sie im Geiste an. Ich sehnte mich so verzweifelt nach ihr.
Sie blieb stumm.
»Ich weiß, du hast gedankenlos gesprochen.«
Schweigen.
»Ich will darüber hinwegsehen.«
»Nein, Vater. Täuscht Euch nicht. Ich habe die Wahrheit gesagt.«
Du gönnst mir also nicht einmal die Gnade der Selbsttäuschung? Aber vielleicht ist es ja keine Gnade, sondern ein Fluch. Einer, dem ich nur zu oft nachtrachte.
»Hier stehest du und kannst nicht anders? Wie Martin Luther?« Ich versuchte es mit einem Scherz.
»Irgendwann müssen wir es alle.« So stand sie da, bleich und steif und anmaßend. Nicht das süße, sanfte Mädchen, das ich geliebt hatte. Ich hatte sie verloren.
»Nun gut. So wisset denn: Ihr seid« – ich wechselte in die formelle, unpersönliche Anrede – »eine höchst ungehorsame, treulose, lieblose Tochter. Nicht länger sollt Ihr Euch ›Prinzessin‹ nennen, sondern Euch begnügen mit dem Titel ›Lady Maria‹, und nicht länger sollt Ihr zu Beaulieu residieren mit großer Dienerschaft, die Euch zu Gebote steht, sondern Ihr sollt als Zofe der wahren Prinzessin, Elisabeth, in Hatfield zur Hand gehen … und dort sollt Ihr lernen, demütig zu sein und Euch zu begnügen mit dem Stand, in den Gott Euch gestellt.«
Ich erwartete Schrecken, Widerspruch. Nichts dergleichen kam. »Ich bin die gehorsamste Magd Eurer Majestät«, erklärte sie.
Ich sehnte mich danach, mich zu ihr hinunterzubeugen, sie in meine Arme zu nehmen, ihr zu sagen, dass ich sie liebte. Aber wenn sie hart sein konnte, würde sie lernen müssen, dass ich härter sein konnte. Der Rubin zerspringt am Diamanten.
»Fürwahr«, sagte ich. »Ich erkenne solchen Gehorsam an. Wisset denn, Ihr sollt Euch geradenwegs nach Hatfield House begeben und im Haushalt der Prinzessin Elisabeth dienen.«
»Mir geschehe nach Eurem Wort«, antwortete sie.
»Hör auf, die Heilige Schrift zu äffen! Du tust ihr Schmach an und auch dir selbst. Du bist keine Jungfrau Maria, Mädchen; also gebärde dich auch nicht so!« Hatte sie Katharinas Neigung zu religiösem Exzess geerbt?
Auf dem Rückweg nach London brannten meine Männer, gut gesättigt inzwischen, darauf, meine Gründe für die stürmische, hastige Abreise zu erfahren. Ich war in das Speisezimmer gestampft, hatte sie angewiesen, sich rasch den Bauch voll zu stopfen und sich reisefertig zu machen. Ich selbst setzte mich gar nicht erst, sondern packte einige Stücke Fleischpastete und Weißbrot und verschlang alles gierig; dabei stand ich am Tisch und trieb meine Gefährten an, ihre Mäntel zu holen.
Jetzt war mir, als sitze das trocken hinuntergewürgte Essen in
Weitere Kostenlose Bücher