Ich, Heinrich VIII.
für eine weitere Audienz. Ich winkte Henry Howard heran. Im Galopp kam er an meine Seite, und sein hübsches Gesicht wirkte frischer noch als der Schnee.
»Ihr seid ungefähr so alt wie mein Sohn«, begann ich. Maria war mir verloren, aber Heinrich Fitzroy nicht. Ich durfte nicht ihn vernachlässigen, weil sie mir das Herz gebrochen hatte. »Ihr seid 1517 geboren; habe ich Recht?«
»Ja.« Er zeigte sich überrascht, dann geschmeichelt, wie es uns allen ergeht, wenn jemand sich unserer persönlichen Lebensdaten erinnert.
»Siebzehn. Mein Sohn Heinrich Fitzroy ist zwei Jahre jünger. Ich möchte ihm einen Gefährten zur Seite geben, mit dem er Unterricht und Zeitvertreib teilen kann. Würde Euch das gefallen? Ich würde euch beide als Prinzen in Windsor leben lassen. Was sagt Ihr?«
»Ich sage – ich sage Ja«, antwortete er. »O ja!«
Prinzen nicht ganz, alle beide, aber alle beide prinzlichen Geblüts. »Gut. Mein Sohn braucht einen edlen Freund. Und Ihr, glaube ich, solltet mit anderen Eures Alters und Standes zusammen sein. Ihr wart beide zu lange mit Weibern und alten Männern eingesperrt.«
Sein Lachen verriet mir, dass ich Recht hatte.
»Im Frühjahr sollt Ihr also nach Windsor kommen«, beschloss ich. »Unmittelbar nach der Feier des Ordens vom Hosenband, bei welcher ihr beide euren Platz in jener vornehmen Gesellschaft einnehmen sollt.« Mit einem beiläufigen Satz hatte ich ihn in den höchsten Rang der Ritterschaft im Reiche erhoben. Worte, Worte. Worte sprachen sich so leicht.
Die Sonne war längst untergegangen, als wir Richmond erreichten. Als wir am Ufer entlangritten, schimmerten jenseits der zugefrorenen Themse die Lichter von London golden und warm, und sie fingen sich hier und da in scharfzackigen Eisfingern und ließen sie erglühen wie längliche Edelsteine. Ich war müde, müde. Seit wir drei Tage zuvor Richmond verlassen hatten, war ich dem Tode unter einer weißen Decke nahe gewesen; ich hatte den Wahnsinn von St. Osweth erlebt; ich hatte sehen müssen, wie meine verlorene Maria sich in ein genaues Abbild ihrer Mutter Katharina, meiner Feindin, verwandelt hatte. Die ursprünglichen Gründe, die mich zu dieser Reise bewogen hatten, verschwanden hinter dem, was ich gefunden hatte.
Im weiten, von Fackeln erhellten Palasthof, der schneebedeckt und still dalag, wünschte ich meinen Gefährten gute Nacht. Neville und Carew umarmte ich. Ein Übermaß an Zärtlichkeit, das Maria nicht mehr erreichen konnte, ergoss sich nun über meine alten Freunde. »Hütet Euch vor Cuthbert«, scherzte ich.
Dann wandte ich mich an Cromwell. »Ich muss Euch sprechen, bevor das Parlament seine Sitzung eröffnet. Ich habe beschlossen, bei der Eröffnung persönlich zugegen zu sein.«
Dann ging ein jeder seiner Wege, und ich begab mich in die königlichen Gemächer – zu Anne.
Ich muss gestehen, ich wollte Anne an diesem Abend nicht sehen, und auch sonst niemanden. Ich war froh, dass Will nicht da war. Eines der verdrießlichsten Dinge in der Ehe ist der Umstand, dass man niemals allein war. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen als sein Gegenstück. Gott hatte die Ehe als Mittel gegen die lähmende Einsamkeit gedacht, die den Menschen in unerwarteten Augenblicken packen kann. Aber wenn man überhaupt nie allein mit seinen Gedanken oder mit seinem Schöpfer war … weshalb musste es immer zu viel des einen oder des anderen Zustandes geben?
In meinen eigenen Räumen drängten sich müßige, Fragen stellende Leute. Ich aber schritt durch sie hindurch und suchte die Zuflucht der innersten Kammer meiner Privatgemächer. Dort saß ich geraume Zeit da, ohne mit der Wimper zu zucken, in dem Bewusstsein, dass mein Körper ausgehungert und erschöpft war und danach schrie, im Schlaf Vergessen zu finden.
Ich musste Anne sehen. Es war eine Pflicht, eine Pflicht der Höflichkeit, wie alle ritterlichen Pflichten. Wir würden zusammen zu Abend essen, und ich würde ihr alles erzählen, was mir widerfahren war. Müde läutete ich nach einem Diener, teilte ihm meine Wünsche mit und ließ mich zurücksinken, um mein Essen und mein Weib zu erwarten.
Anne kam eher, als mir lieb war, denn am liebsten wäre es mir gewesen, überhaupt keine Gesellschaft zu haben. Sie erschien in der Tür meines Gemaches, und Grübchen der Freude zeigten sich in ihren Wangen. Ich musste mir den gleichen Anschein geben, ermahnte ich mich, und ich raffte mich aus der süßen Lethargie auf, die inzwischen
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