Ich, Heinrich VIII.
Parlament« sollte nun stattfinden: Meine Gegenwart im Verein mit dem Parlament war die höchste gesetzgebende Körperschaft im ganzen Land. Das Unterhaus und das Oberhaus waren heute in der Niederen Halle versammelt, einem grün und weiß gekachelten Saale, in dessen Mitte vier dicke Wollsäcke – mächtige, mit Troddeln verzierte Bündel zu Ehren des Fundaments, auf dem Englands Größe ruhte: der Wolle – als Sitze für Richter und Aktenschreiber wie auch für Sir Thomas Audley, den Lordkanzler und Thomas Mores Nachfolger dienten.
Zum Oberhaus gehörten nicht nur die siebenundfünfzig Lords («Peers auf Lebenszeit«), sondern auch fünfzig hochrangige Geistliche (die »geistlichen Lords«). Das Unterhaus zählte an die dreihundert Köpfe, gewählte Ritter und Abgeordnete aus allen Teilen des Reiches.
Die Lords saßen auf Bänken, die in einem großen doppelten Rechteck aufgestellt waren, die Geistlichkeit zu meiner Linken, der Adel zu meiner Rechten. Die Abgeordneten des Unterhauses standen hinter ihrem Sprecher außerhalb des Rechtecks hinter einer Schranke. Ich thronte über allen anderen auf einer mit blauen und goldenen Schabracken – goldene Tudor-Rosen und Lilien – bedeckten Estrade unter einem weiß bestickten Staatsbaldachin. Links und rechts von mir, auf der Estrade, hatten meine Ratgeber und der geheime Staatsrat, Cromwell vor allem, ihre Plätze.
Es war das fünfte Mal, dass dieses Parlament tagte. Es sollte sieben Jahre bestehen und als das »Lange Parlament« bekannt werden. Es hatte schon manches verordnet; vornehmlich aber hatten seine Gesetze sich gegen Missstände gerichtet, die guten Engländern schon lange ein Dorn im Auge gewesen waren: die Sonderprivilegien der Kirche etwa oder die Steuern und Abgaben, die nach Rom geflossen waren. Diesmal ging es um etwas anderes. Diesmal würde ich verlangen, dass es definierte, was Verrat sei – und die Maßstäbe dafür würde ich festlegen.
So stand ich vor ihnen, die schwere Krone auf dem Kopf, und sprach.
»Vor Euch liegt der Gesetzesentwurf zur Definition des Verrats. Wir haben immer zu wissen geglaubt, was Verrat bedeutet. Er war ja auf den ersten Blick zu erkennen, wie eine Kröte zu erkennen ist, eine Schlange, ein Wurm. Und wer könnte eine Kröte mit einem gefleckten Kätzchen verwechseln?«
Gelächter.
»Aber in unserer gefahrvollen Zeit ist die Unterscheidung nicht mehr so einfach. Unsere Vorfahren brauchten nur vor Schlangen und Ratten auf der Hut zu sein. Aber ach! in unseren traurigen Zeiten – selbst der Satan weiß sich als Engel des Lichts zu verkleiden. Dies«, so fuhr ich fort, »sagt die Schrift, und es ist nur ein Beispiel dafür, wie sich alles verändert hat. Denn Übersetzungen der Heiligen Schrift gibt es im Überfluss, und jedermann möchte Gelegenheit nehmen, sie zu lesen – aye, sie zu lesen und misszuverstehen!«
Ich blickte über sie hin. Jetzt lachte niemand. Sie warteten ab, denn sie wussten nicht, worauf ich hinauswollte.
»Dessen eingedenk, und als Euer liebender König, weiß ich, dass Ihr der Anleitung bedürft. Wir würden aber unsere Pflicht und unsere Liebe zu Euch vernachlässigen, wollten wir sie Euch nicht geben. Der Verrat schleicht umher auf Katzenpfötchen, wispert Euch erst ins eine, dann ins andere Ohr. Wer aber weiß, was Verrat ist; wer wachsam ist, der kann sich abwenden … und dem das Maul stopfen, der da wispert.«
Jetzt raschelte es in den Reihen der Bänke. Bange Erwartung verwandelte sich in Angst.
»Verrat ist das, was danach trachtet, Euch Eures Königs zu berauben, ihn in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen – also jeder Versuch, ihn seiner rechtmäßigen Titel zu berauben oder Schändliches über seine Ehe mit der Königin Anne zu verbreiten, aber auch die Weigerung, die Prinzessin Elisabeth als seine wahre und rechtmäßige Erbin anzuerkennen. Verrat ist es, ihn boshaft zu schmähen, mit Worten oder mit Taten. Verrat ist es, den zu schützen, der es tut.«
Noch schienen sie die wahre Bedeutung dieser Worte nicht begriffen zu haben. Die versammelten Männer schauten noch immer mit freundlichen Gesichtern zu mir auf.
»Da nun kein braver und loyaler Engländer den Wunsch haben wird, sich eines solchen Verbrechens schuldig zu machen, wird jedermann Gelegenheit bekommen, einen Eid zu leisten, auf dass er nicht zu den verborgenen Verrätern gezählt werde.« Ich winkte Cromwell, und dieser erhob sich und zückte eine Pergamentrolle.
»Zu Eurem Schutze«, hob er an, »soll ein
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