Ich, Heinrich VIII.
Verkörperung einer seiner verfluchten platonischen Ideen. Er hatte überhaupt nie mich gesehen, sondern immer nur das Symbol, das er mir zuzuschreiben beliebt hatte.
Ich verachtete ihn. Er war ein blinder Narr, der lebende Wesen nahm und sie nach dem Bilde seiner abstrakten Ehre umgestaltete.
Lebwohl, More, sagte ich im Stillen. Mögest du die »Disziplin« genießen, die du dir erwählt hast. Und bedenke stets, es ist deine Disziplin, nicht meine. Denn ich will meine Augen verhüllen und dich behalten, will mir einbilden, dass du warst, wie ich dich in meiner Vorstellung geformt …
Ehe er mich entdecken konnte, war ich zur Tür hinaus und in der Kälte. Gleich darauf hatte ich meine Kammer erreicht. Als ich wieder erwachte, war es heller Vormittag, und die Sonne schien heiter.
»Guten Morgen, Euer Gnaden«, sagte More beim Frühstück. »Ich hoffe, Ihr habt gut geschlafen.«
»Wahrlich«, antwortete ich. »Ebenso gut wie Ihr.«
»Dann habt Ihr die Nacht friedlich verbracht«, sagte er. »Denn nie habe ich süßer geschlummert.«
Sein Lächeln kam aus weiter Ferne.
»Möget Ihr noch oft so schlummern«, erwiderte ich.
LX
E s war der Abend vor dem ersten Mai, und ich weilte zu Oxford. Ich war hergekommen, um Wolseys »Cardinal’s College« zu inspizieren; nach seinem Tode war es natürlich vernachlässigt worden. Ich überlegte nun, ob ich es erretten und unter königliche Schirmherrschaft stellen oder ob ich es weiter dahinsiechen lassen sollte. Der große Innenhof, umgeben von wunderschönen, erst halb vollendeten Bogengängen, war inzwischen von vier Wintern verwüstet worden. Man würde ihn bald wiederherstellen und vollenden müssen, oder er wäre endgültig verloren.
Aber königliche Colleges kosteten viel Geld. Meine Großmutter Margaret Beaufort hatte zwei gegründet, in Oxfords junger Rivalin Cambridge. Zu Ehren meiner Regentschaft und zur Mehrung der höheren Bildung sollte ich eigentlich auch eines gründen und fördern, das wusste ich wohl. Aber das Geld! Oh, das Geld!
Jetzt hatte ich den Tag mit den gelehrten Dekanen verbracht und mir all die Gründe angehört, weshalb ich die Verantwortung für Wolseys verlorenes College übernehmen sollte. Bischof Fisher, Katharinas hitziger Bundesgenosse, hatte einen Lehrstuhl für Theologie an der Universität; er begehrte, mit mir zu sprechen und mich zu überreden. Ich weigerte mich, ihn anzuhören. Unter den gegebenen Umständen wollte ich mit dem Manne nicht reden. Oxford würde für seinen Lehrstuhl bald einen neuen Theologen benötigen! War ihm das klar?
In dem kleinen Ruheraum in den Gemächern, die ich bei diesem Besuch bewohnte – mit den besten Empfehlungen von Wolsey, denn hier hatte er seine Wohnung gehabt –, saß ich nun mit Cromwell. Ich hatte meine Gründe gehabt, ihn mitzunehmen – Gründe, die er bald genug kennen lernen würde.
Etliche ungewöhnliche Sofas standen hier und dort im Zimmer, mit üppigen Stoffen bezogen, mit Kissen überhäuft. Die Fußböden bildeten einen Kontrast dazu; es waren alte, abgetretene Steinböden, grau und kalt. Die Bogenfenster waren hoch und mit Maßwerk ausgefüllt. Das Ganze wirkte wie eine Pfarrkirche, möbliert mit den Diwanen eines Kalifen.
Ich streckte mich auf einem der Sofas aus. Aber wie ruhte man hier in majestätischer Haltung? Mich halb liegend zu präsentieren, kam mir recht liederlich vor. Wie auch immer, den Staatsgeschäften war es ohnehin nicht förderlich. Also setzte ich mich aufrecht hin.
Cromwell betrachtete den leeren Tisch zwischen uns. »Eine Schande.« Er schüttelte den Kopf. »Bei Wolsey hätten sich hier die Köstlichkeiten getürmt. Fisher schickt gar nichts.«
»Abgesehen vielleicht von einer Botschaft. Dieser leere Tisch kündet von seiner asketischen Einstellung.« Das hässliche, geschrubbte Holz mit seinen traurigen Narben schaute mich verachtungsvoll an. »Wir hätten seine Gaben sowieso unter keinen Umständen angenommen. Wir wollen nur eines von ihm. Und das verweigert er uns.«
Den Eid.
Kurz nach meinem Besuch bei More hatte man begonnen, den Eid einzufordern. Die Kommissare waren in Städte und Gildenhäuser gezogen, auf die Märkte und in die Klöster. Männer und Frauen hatten bereitwillig unterschrieben, hatten rasch den Eid geleistet, nachdem sie von den Feldern gekommen und bevor sie in die Stadt gegangen waren. Die beliebteste Zeit dafür war der Vormittag gewesen; da hatten sie zusammenkommen und ein Schwätzchen halten können, während sie bei
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