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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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verstanden.«
    Als die Mondfinsternis vorüber war, begaben wir uns langsam den Hang hinunter zu seinem Haus, das jetzt im Dunkeln lag. Seitab zur Rechten sah ich ein kleines Gebäude, und aus gewisser Höflichkeit fragte ich ihn, was es damit auf sich habe.
    »Ich nenne es das ›neue Haus‹«, erklärte er.
    »Aber wozu dient es?«
    »Für all das, wozu im ›alten Haus‹ kein Platz war«, antwortete er.
    »Für private Dinge?« Ich verstand – oder glaubte zu verstehen.
    »Ja.« Jetzt blieb er stehen und formte seine Worte mit Sorgfalt. »Für private Dinge.«
    Ich sollte in einer Kammer im ersten Stock auf der Rückseite des Hauses schlafen. Das Bett war mit einer Federmatratze ausgestattet und mit Fellen belegt worden. Ich gestehe, dass ich benommen und zum Schlafen bereit war, als ich dort angekommen war. Ich hätte jetzt auf einem steinernen Altar geschlafen.
    »Ich danke Euch, Thomas«, murmelte ich. Kaum hatte die Tür sich geschlossen, taumelte ich zum Bett und ließ mich fallen, ohne mich auch nur meiner Kleider zu entledigen. Ich streckte mich der Länge nach aus und fiel in tiefen Schlaf. Zwar hatte ich vorgehabt, über Thomas und seine offenkundige Missachtung meiner Warnung nachzudenken, aber ich dachte an nichts mehr.
    Irgendwann, mitten in der Nacht, wachte ich auf; ich war so hellwach, als hätte ich vierzehn Tage lang geschlummert. Die kleine Kerze auf der anderen Seite des Zimmers flackerte und tanzte. Sie war halb heruntergebrannt, seit ich mich zu Bett gelegt hatte. War das Stunden her? Augenblicke? Ich hatte kein Zeitgefühl.
    Ich wusste nur, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Eine wunderliche Art von Energie durchströmte mich, und ich wusste, ich musste aufstehen. So schwang ich die Füße über die Bettkante und tastete nach meinen Schuhen. Da lagen sie, kalt und hart, der linke vom rechten bedeckt: So schläfrig war ich gewesen, als ich mich zurückgezogen hatte.
    Ich tappte durch die Kammer, um die Kerze zu holen, damit ich mir einen Ort zum Beten suchen könnte. Denn ich wusste, das war es, was ich tun musste: beten. Ich hatte seit Tagen nicht mehr gebetet. Meine Seele schmachtete danach. Ich ergriff die Kerze, hielt sie in die Höhe. Natürlich gab es einen Andachtswinkel, ausgestattet mit Kniebank und Heiligenbildern: das Einzige, was in Thomas Mores Zimmern niemals fehlte.
    Aber als ich hinüberging, sah ich draußen vor dem Fenster ein dunkelgelbes Licht. Es leuchtete irgendwo auf dem Grundstück. War es der Koch, der das Feuer für den Tag entfachte? Aber dazu schien es noch zu früh zu sein. Dann fiel mir ein, dass More ja auch den größten Teil seiner Dienerschaft entlassen hatte.
    Das Licht brannte im »neuen Haus«. Ob es Diebe waren? More hatte sich geweigert, mir zu verraten, welchem Zweck das neue Haus diente. Hatte er dort seine Juwelen versteckt? Vielleicht hatte er doch noch mehr übrig behalten, als er zugab.
    Wie auch immer – es waren Diebe dort. Ich würde More nicht wecken, sondern sie selbst bei ihrem Werk stören.
    Ich kleidete mich vollends an und warf den Mantel über. Dann schlich ich die dunkle Treppe hinunter und bewegte mich auf die große Tür zu, die (wie ich mich erinnerte) aus der Großen Halle ins Freie führte.
    Der arme More. Er besaß so wenig, hatte so viel aufgegeben, und doch versuchten sie, ihn zu bestehlen. Wenn jemand Verbindung zum Hofe hatte, und mochte sie noch so fern sein, vermutete man stets verborgene Reichtümer bei ihm.
    Ich hatte das Gebäude erreicht. Ich drückte gegen die Tür und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass sie sich mühelos öffnen ließ. Ich trat ein und schloss sie.
    So. Offenbar war ich jetzt in Reichweite der Räuber. Der Gedanke, ich könnte ihnen gegenübertreten und sie verscheuchen, erleichterte irgendwie mein Gewissen. Ich hatte More in diese ärmliche Lage gebracht (oder hatte er es selbst getan?), aber ich konnte nun eigenhändig verhindern, dass er noch weiter in Not geriet. So war das eine gewissermaßen Wiedergutmachung und Buße für das andere.
    In dem Häuschen war es eiskalt – kälter als draußen. Das verblüffte mich; ich musste meinen Mantel fester um die Schultern ziehen, während ich mich vorantastete. Ich konnte nicht feststellen, woher der Schimmer gekommen war, denn drinnen schien alles dunkel zu sein. Vielleicht hatten die Diebe ihr Licht gelöscht.
    Ich schob mich durch eine Tür; sorgfältig achtete ich darauf, dass sie nicht in den Angeln quietschte. Jetzt sah ich Licht, mattes

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