Ich, Heinrich VIII.
werde ich ihn füttern. Ja, dann wird er wachsen.«
»Ist er unnatürlich klein?« Noch eine Befürchtung, die sich zu den übrigen gesellte. »Was sagte dein Arzt?«
»Dr. Beechy?« Sie zuckte die Achseln. »Oh, der ist unbesorgt …«
Und nach dem Essen hatte sie mir eine gute Nacht gewünscht und behauptet, sie sei müde und wolle früh schlafen gehen. Alles wäre gut gewesen, aber um ihr beim Einschlafen zu helfen, wollte ich ihr einen Schlaftrunk bringen, den ich selbst bereitete. So kam ich etwa eine Stunde später in ihre Gemächer und sah:
Ein wilder Tanz war im Gange, und Anne sprang akrobatisch umher und wurde von den Männern, unter denen sich auch ihr Bruder George befand, umhergeschwungen. Es fehlte ihr nur der Schwanz, und die Ähnlichkeit mit einem Affen wäre vollkommen gewesen. Auch die Männer hüpften umher, sie klatschten, trampelten und verbeugten sich, und dabei trugen sie fantastische Hüte und klapperten mit Kastagnetten. Die Musik war wild, stampfend und rhythmisch. Die Tambourine und das Klappern der Absätze übertönte das Knarren der Tür. Niemand sah mich – ganze zwei Minuten lang blieb ich unbemerkt. Dann entdeckte mich George Boleyn, der auf der anderen Seite vorüberhüpfte. Er blieb so plötzlich stehen, dass Francis Weston, der ihm auf dem Fuße folgte, gegen ihn prallte.
»Eure Majestät!«, schrie George und riss sich die gefiederte Mütze vom Kopf. Die Musik erstarb. Dennoch wirbelte Anne trotzig weiter, eine Ewigkeit, wie mir schien, und in tiefer Stille. Alle starrten sie an, bis sie sich unvermittelt mir zu Füßen warf und formvollendet den Boden berührte.
Dann wandte sie das Gesicht zu mir auf. »Wir ahmen Spanien nach«, sagte sie. »Und die spanischen Tänze aus Valencia.« Sie wartete auf meinen Beifall. Ich verweigerte ihn.
»Hinaus«, sagte ich zu den Männern. »Alle. Sofort.«
Anne wollte sich erheben, aber ich drückte ihr die Hand auf den Kopf und hinderte sie am Aufstehen. Sie war gezwungen, in ihrer kauernden Haltung zu verharren, während ihre Komplizen einer nach dem anderen stumm aus dem Zimmer gingen. Als der letzte verschwunden war, nahm ich meine Hand von ihrem Scheitel.
»Warum?«, fragte ich.
Sie erhob sich in einer geschmeidigen Bewegung, wie sie mich einst in Entzücken versetzt hatte, und warf das Haar auf die gewohnte Art in den Nacken.
»Der kaiserliche Gesandte hatte mir eben ein Geschenk aus Jerez überbracht – ein Getränk.« Sie wies auf ein kleines Fässchen, das auf ihrem Tisch stand. »Die Männer haben davon gekostet, und es ist ihnen zu Kopfe gestiegen.« Sie lachte. »Es ist noch stärker als Rotwein«, fügte sie hinzu. »Gefährlich.«
Ihre hübschen Lügen. Immer die hübschen Lügen, Ich musste sie unwillkürlich bewundern, wie ich hervorragende Leistungen in jeder Kunst bewunderte.
»Warum hast du mich mit dem Kinde belogen?« Denn sie war nicht schwanger, das wusste ich jetzt. Sie war es nie gewesen.
»Weil du es dir so sehr gewünscht hast.« Gerissenes Weib – keine der Beteuerungen, die eine weniger verschlagene Betrügerin jetzt vorgebracht hätte. Gib es mit Anstand zu, und dann verbiege den Grund für die Lüge so, dass er glaubhaft und liebenswert erscheint. »Ich wollte dir so gern einen Sohn schenken. Ich glaubte, indem ich sagte, dass ich schwanger sei, könnte ich es vielleicht wahr werden lassen, könnte ich das Ereignis eintreten lassen …«
Ausgezeichnet. Die Falschheit, zur Tugend erhoben. »Ich hätte auf eine Staatsreise gehen können, aber du hast mich an dich gefesselt. Wenn es jemals notwendig war, dass ich mich im Reiche zeige, dann jetzt. Aber du hast mich hier festgehalten, mit einer Lüge. Du hast mich in der Öffentlichkeit getäuscht, und du hast mich im Ehegemach getäuscht. Während es draußen regnete und das Volk wider mich murrte, und während die einzigen Früchte reiften, die unter solchen Umständen reifen können, nämlich Rebellion und Verrat – währenddessen tanztest du hier mit deinen Männern.«
Ich trat einen Schritt zurück. Ich wollte sie nicht anfassen. »Lügen. Du bestehst aus nichts als Lügen. Es ist keine Wahrheit in dir. Nein, rühre mich nicht an!« Sie hatte die Hand nach mir ausgestreckt. Mein Fleisch zuckte wahrhaftig vor ihr zurück.
»Bitte!«, rief sie und streckte flehentlich die Arme aus.
»Du bist verdorben«, sagte ich, und ich spürte, dass ich in der Gegenwart des Bösen war. Das Gefühl war überwältigend, und ich empfand solchen Ekel, dass ich
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