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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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gewahr werden.
    Lügen um ihrer selbst willen, sogar wenn die Wahrheit bessere Dienste täte.
    Wozu war Annes Schwangerschaftslüge gut gewesen? Die Wahrheit hatte zwangsläufig ans Licht kommen müssen, denn länger als ein paar Wochen hätte sie sich nicht mehr verbergen lassen. Die Lüge hatte ihrer Sache geschadet, statt sie zu stärken.
    Verkleidungen, Verstohlenheit, Heimlichkeiten – das alles sind verwässerte Formen der Lüge. Anne und ihre Maskeraden, ihre Scheinwelt …Welche Anzeichen gab es sonst noch? Ich fühlte, wie Verwirrung, große Verwirrung und Verzweiflung mich überkam. Ich konnte kaum noch einen Gedanken fassen, kaum noch Ordnung in meinen Kopf bringen; es war, als hätte man mit einem Stock den Schlamm am Grunde meines Verstandes aufgerührt und damit all mein Denken vernebelt. Mit großer Willensanstrengung kämpfte ich dagegen an. Welche Zeichen noch …?
    Stolz. Satans Stolz, sein Verlangen nach Macht und Eroberung. Anne machte aus Menschen »Eroberungen«. Diese Gefangenen heute Abend in ihrem Gemach, die wie in Trance getanzt hatten … nein, nicht Menschen: Sie machte Männer zu Eroberungen. Sie wusste nichts anzufangen mit Frauen, und diese nicht mit ihr. Sie hielt diese männlichen Kreaturen buchstäblich in Sklaverei … wie sie es mit mir getan hatte, mit mir …
    Ich hatte mich benommen wie einer, der mit einem Zauberbann belegt war, hatte mich gegen meine ältesten Bundesgenossen, gegen meine stärksten Überzeugungen gewandt. Einstige Freunde waren zu Feinden geworden – der Papst, Wolsey, Warham, More, das Volk selbst. Ich war von meiner eigenen Familie getrennt, von meiner Tochter abgeschnitten, von der Kirche exkommuniziert.
    Ich war verdammt. Und alles nur wegen meiner Liebe zu Anne.
    Ich hatte More den Kopf abgeschlagen … für Anne. Ich hatte Mönche gefoltert und hingerichtet … für Anne. Ich hatte mir einen Diener genommen – Cromwell –, der manchmal selber bösartig erschien und der die restlose Vernichtung aller Klöster betrieb. Etwas in mir hatte seinen bösen Vorschlägen bis heute widerstanden – aber nicht ganz: Seinen »Kommissaren« und »Inventurbeauftragten«, die in diesem Augenblick die frommen Anwesen heimsuchten, hatte ich freie Hand gegeben …
    Satan trachtet nach Zerstörung. Durch mich hatte Anne schon vieles zerstört.
    Satan ist ein Mörder. Das hat Jesus gesagt. Er war ein Mörder von Anfang an.
    Von Anfang an: Anne hatte Wolsey verflucht, und er war gestürzt und unter geheimnisvollen Umständen gestorben. An Gift hatte ich wohl gedacht, aber an eines, das er sich selbst verabreicht.
    Wie blind war ich gewesen!
    Warham war plötzlich gestorben, just als Anne davon einen Vorteil gehabt hatte.
    Percy, der sie unter dem Druck seines Vaters und Wolseys verlassen hatte, war außerstande gewesen, seine Gemahlin zu befriedigen und starb jetzt an einer unklaren auszehrenden Krankheit.
    Meine Schwester Maria hatte an meiner Passion für Anne öffentlich Kritik geübt und sich auf Katharinas Seite gestellt, und sie hatte sich geweigert, bei Annes Krönung zugegen zu sein. Maria war von einer mysteriösen »Krankheit« ergriffen worden, sie war dahingeschwunden und mit fünfunddreißig Jahren gestorben.
    Jemand hatte versucht, Bischof Fisher beim Essen in seinem Hause zu vergiften. Zwei Bedienstete waren gestorben; Fisher war erkrankt, hatte aber überlebt. Überlebt, um desto sicherer von mir vernichtet zu werden, weil er den Lügen, der gefälschten Unterschrift, widersprochen hatte … Mit Verlaub, mein Lord, nichts könnte weniger wahr sein.
    Mein Magen zog sich zusammen. Mir war, als sei ich selber krank – vergiftet. Konnte das sein?
    Ja, sie hatte auch mich geschlagen. Das geheimnisvolle Beingeschwür, das aus dem Nichts erschienen und in dem Augenblick verschwunden war, da ich getan hatte, was Anne wollte: Maria gedemütigt und sie als Zofe zu Prinzessin Elisabeth geschickt, und ihr Haus Annes kostbarem Bruder George übereignet … ihrer Kreatur.
    Meine Impotenz … war es ein Fluch von ihr gewesen oder nur der natürliche Widerwille meines Fleisches gegen die Verschmelzung mit dem ihren, auch wenn ich da noch nicht wusste, warum? Aber diesen Widerwillen hatte sie überwunden, hatte ihn aufgehoben, um mich desto enger an sich zu binden.
    Ich hatte angefangen, zu sterben, körperlich und jedenfalls auch geistig. Wie Fisher war auch ich kein leichtes Opfer, aber der Abstieg hatte begonnen. Annes schlanke kleine Hände führten mich auf dem

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