Ich, Heinrich VIII.
kann nicht erklären, weshalb es so ansprechend ist, die Hand- und Armbewegungen eines anmutigen Weibes zu beobachten – es ist wie eine Art Zeremonie oder ein Tanz.
Die Glocke wurde geläutet; wir mussten die Tische wechseln. Ich sah, wie sich die Hitzewellen, die draußen vom Fluss aufstiegen, in dem Licht spiegelten, das zu den Fenstern hereinströmte.
Mittag. More wurde hinausgeführt.
Bevor er auf das Schafott stieg, wandte er sich an den Konstabler des Tower. »Ich bitte Euch, Meister Konstabler, bringt mich nur sicher hinauf; ums Herunterkommen will ich mich dann schon selbst bekümmern.«
»Nun beginnt Ihr die neue Partie schon mit einigen Punkten«, verkündete Anne. »Ihr mögt sie behalten; nur die Strafpunkte werden hernach vom Ergebnis abgezogen.«
Er legte seinen Kopf auf den Block und scherzte noch mit dem Scharfrichter. Im Tower hatte er sich nicht rasiert, und so war ihm ein langer Bart gewachsen. Den strich er nun ordentlich beiseite und bat den Henker, ihn nicht auch abzuschneiden: »Denn mein Bart hat ja keinen Verrat begangen.«
Wir spielten eine zweite Runde. Mit mir am Tisch saßen die, die schon gewonnen hatten – Cromwell, Norfolk und Edward Seymour. Dieses Spiel war schwieriger. Meine Gegner hielten sich nicht zurück, und sie hatten Strategien im Kopf, die ganze Zeit, nicht nur für eine oder zwei Runden, und Pläne für den Notfall überdies.
Die Luft wurde stickig. Schweiß sammelte sich an meinem Hals und durchweichte meinen feinen Leinenkragen.
Ich hatte More ermahnt, »nicht viele Worte zu machen«. Kürze war am besten. So warf er einen letzten Blick auf die Menschenmenge, die sich am Tower Hill versammelt hatte, bat sie, für ihn zu beten und zu bezeugen, dass er im Glauben und für den Glauben an die Heilige Katholische Kirche in den Tod gehe.
»Ihr habt diesen Intrigenpunkt übersehen, Eure Majestät«, sagte Cromwell. »Nun müsst Ihr diese Runde verlieren.«
»Unachtsam von mir«, räumte ich ein.
More wandte sich an den Henker, der zu verzagen drohte. »Fasse dir ein Herz, Mann, und scheue dich nicht, deines Amtes zu walten. Mein Hals ist sehr kurz. Gib also Acht, dass du nicht daneben schlägst, auf dass du dir deine Ehre bewahrest.« Ein verpatzter Hieb mit der Axt bedeutete Qual und Erniedrigung.
»Ich habe hier noch eine Karte in Reserve«, verkündete Seymour. »Ich habe sie mir die ganze Zeit aufgehoben.«
»Er ist ein trügerischer Bube«, meinte Norfolk lächelnd. »Denkt die ganze Zeit, und legt die Karten nie auf den Tisch.«
»Ich habe noch zwei«, versetzte ich. »Eine, um die Eure zu stechen.« Ich schob seine »Ehe«-Figur vom Brett.
»Ihr solltet Wetten abschließen, Eure Majestät«, sagte Cromwell.
»Ich habe keine Münzen bei mir«, erwiderte ich. »Und seine Schulden muss man immer bezahlen.«
»Ihr wisst, wo Ihr erhaltet, was Ihr braucht«, antwortete er. »›Klopft an, und es wird Euch aufgetan.‹«
Seine falschen Bibelzitate hatten keinen guten Klang an diesem schwülen Julitag.
»Ich sterbe als getreuer Diener des Königs, aber zuvörderst als Diener Gottes.«
Die Kanone vom Tower erdröhnte; es hallte über das Wasser durch die offenen Fenster zu uns in das Spielzimmer.
More war tot. Sein Kopf war abgeschlagen.
»Ihr seid am Zug, Eure Majestät.« Die drei an meinem Tisch warteten höflich.
Ich machte meinen Zug. Ich wusste schon seit etlichen Runden, wie er aussehen würde. Die ganze Zeit über schaute ich Anne an, die zwischen den Tischen umherging und ihr obszönes Kartenspiel des Todes beaufsichtigte.
Es war obszön, und sie war obszön, und mein unmäßiges Verlangen nach ihr war genauso obszön.
Das alles stank wie die verschmutzte Juli-Themse draußen vor den Fenstern. Es hatte nichts Schönes an sich.
Würgend stieß ich meinen Stuhl zurück und verließ das Spielzimmer.
LXIV
I ch saß in einem großen Kristallpalast – vielleicht war es auch Eis. Ich konnte es nicht sagen, weil ich die Säulen und Wände nicht berühren konnte. Sie schimmerten und glänzten wie Eiszapfen. Aber es tropfte nirgends, und mir war nicht kalt.
Ich befragte jemanden – aber dieser Palast gehörte ihm, nicht mir. Ich befragte ihn, weil ich ihn als Bediensteten oder als Ratgeber einstellen wollte. Gleichwohl schien er derjenige zu sein, der die Regeln und Bedingungen festsetzte. Er war ungewöhnlich wortgewandt und selbstbewusst. Ich war enttäuscht, denn ich wusste, ich würde ihn endgültig nicht bekommen. Ich wollte, dass er mir seine
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