Ich, Heinrich VIII.
mit rot gefärbtem Rauch und mit Dämonen, die den verfluchten Faustus in die Hölle schleiften. Anne war entzückt, und sie zeigte ein lebhaftes Interesse an dem roten Rauch und an den plötzlichen Teufelserscheinungen, denn sie hatte in »Kardinal Wolseys Abstieg zur Hölle« versucht, ganz ähnliche Effekte zu erzielen. Die Hölle interessierte die Leute stets unter dem künstlerischen Aspekt.
Sie zeigte nichts von dem Verhalten, das ich bei einer Schwangeren inzwischen erwartete: Glück, Zufriedenheit, Interesse an dem heranreifenden Kind. Stattdessen war sie rastlos und in sich versunken, und ihre Augen glitzerten fiebrig. Aber darauf kam es nicht an, solange das Kind gesund war. Anne war anders als alle Frauen der Welt, und ihre Schwangerschaft war so einzigartig und beunruhigend wie sie selbst.
Der verfluchte Regen dauerte an, bis der Sommer zu Ende ging. Hin und wieder gab es einen schönen Tag – den spöttischen Verheißungen einer schönen Frau gleich, die in Wahrheit nicht die Absicht hat, uns ihre Gunst zu gewähren. Die erste Kornernte war verdorben, und die Felder waren überflutet, sodass keine neue Saat ausgebracht werden konnte. Im Winter würde mindestens Mangel eintreten, schlimmstenfalls sogar Hunger.
Die Menschen pilgerten immer öfter zu den Wallfahrtsstätten und beteten dort zu Unserer Lieben Frau, zu Thomas Becket und zu allen anderen, die ihnen Gehör schenkten. Die Klöster zogen daraus fetten Gewinn, wie Crum mir immer wieder ins Gedächtnis rief. Ich hatte ihm erlaubt, Inspektoren zu ernennen, die Aufstellungen der Grund- und Vermögenswerte im Kirchenbesitz anfertigen und in einem Valor Ecclesiasticus zusammenfassen sollten. Eifrig waren sie ausgeschwärmt, um diese Informationen zu beschaffen.
Crum gefiel der Umstand, dass die Spenden in die Truhen der Wallfahrtsklöster überall im Lande strömten. Ich fand es bedrohlich. Mores Kopf war von der Stange auf der London Bridge verschwunden. Wer hatte ihn genommen? Und warum? Bauten sie jetzt auch für ihn eine Wallfahrtskirche?
Ich hatte niemanden, dem ich diese Befürchtungen anvertrauen konnte. Crum war nicht der Mann, der Befürchtungen tolerierte, weder bei sich noch bei anderen. Er pflegte nur die Realität einer Situation zu erörtern, nicht aber ihre Unwägbarkeiten. Cranmer, so nah ich ihm in vieler Hinsicht stand, hatte selbst so viele Befürchtungen, dass ich sie nicht noch vergrößern wollte.
Was Anne betraf, so hatte sie sich in ihrer höfischen Welt isoliert, in der sie ihre Zeit vertändelte. Was sich außerhalb der Gemächer der Königin zutrug, war ihr völlig gleichgültig. Ihre Stimmung wechselte zwischen schriller Nervosität und Melancholie, und ich überließ sie ihrem Treiben. Alles war mir recht, solange sie glücklich war und die Schwangerschaft nicht in Gefahr geriet. Nur Tanzen nicht, denn das war zu anstrengend. Ich verbot ihr das Tanzen.
So kam es, dass ich nur mit ungläubigem Staunen gewahrte, wie sie eines späten Abends, nachdem sie sich vorgeblich zurückgezogen hatte, hingebungsvoll tanzte. Wir hatten zusammen zu Abend gegessen, ein ruhiges Mahl, denn ich hatte im August allen Höflingen, die ihre Familien besuchen wollten, Urlaub gegeben. Während der sommerlichen Jagdsaison war der Hof stets geschlossen, und ich war zumeist auf Staatsreise. Anne hatte die Männer ihres Gefolges bei sich behalten und die Frauen beurlaubt. Während wir speisten, hörte ich, wie Mark Smeaton im Nachbarzimmer schmachtende Liebeslieder spielte; aber der unaufhörliche Regen übertönte die Melodien.
Anne stocherte in ihrem Essen herum, bis ich sie wider Willen ermahnte, an unseren Sohn zu denken und ihn zu nähren. Wie sie solche Ermahnungen hasste! Aber ich konnte nicht anders. Wollte sie meinen Sohn denn verhungern lassen?
»Das tue ich doch!«, behauptete sie. »Ich esse gut!«
»Du siehst aber nicht so aus. Du bist dünner denn je. In wie vielen Monaten soll das Kind kommen?«
»In fünf.«
Ich dachte daran, wie Anne im April vor Elisabeths Geburt ausgesehen hatte. Das war gleich nach dem österlichen Fiasko gewesen. Damals hatte sie Polster in den Röcken getragen …
»Ja. Die Polster setze ich noch vor dem Mai ein.«
Sie hatte meine Gedanken gelesen. Verblüfft reagierte ich eher darauf als auf das, was sie gesagt hatte.
»Aber das zweite Mal ist immer anders als das erste«, fuhr sie fort. »Jedes Kind ist anders – mein Körper ist anders.« Plötzlich begann sie zu essen. »Nichtsdestoweniger
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