Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
nur noch an Flucht denken konnte. Was ich da wahrnahm, war nicht nur böse, sondern auch erzürnt und mächtig.
    Sie warf den Kopf zurück und lachte – ein kehliges, wölfisches Lachen.
    Ich wandte mich ab und verließ sie in Hast, bevor sie springen konnte und – ja, was? Ich wusste es nicht.
    Als ich ihr letztes Gemach durcheilte, bemerkte ich ihre kostümierte Garde; zwei Wächter standen zu beiden Seiten der großen Flügeltür, die ihre Gemächer vom übrigen Palast trennte. Es waren leidenschaftslose, muskulöse Kerle, die ihre Hellebarden umfasst hielten und mit leerem Blick vor sich hinstarrten. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob sie von ihr verzaubert worden waren und ob sie, befähle ich ihnen, ihre Herrin zu binden, mir oder ihr gehorchen würden … Diese leeren, empfindungslosen Augen … nein, das war nur Einbildung. Einbildung.
    In meinen eigenen Gemächern angelangt, begab ich mich schleunigst in das innerste Zimmer, welches niemand sonst betreten durfte. Hier hatte ich immer Zuflucht gefunden. Heute Abend jedoch kam es mir eng und bedrückend vor, ganz wie ein Sarg. Ich hatte nicht das Gefühl, einer Bedrohung mit knapper Not entronnen, sondern vielmehr, von ihr gefangen zu sein.
    Annes hässliches Lachen klang mir noch in den Ohren, und das machtvolle Gefühl des Ekels überflutete mich von neuem, dass mich eine Gänsehaut überlief. Unversehens war dieses Gefühl mir vertraut; ich hatte es schon viele Male verspürt. Nachdrücklich hatte es sich um meine Aufmerksamkeit bemüht, und schon seit langem suchte es mich zu warnen.
    Es war vorhanden, seit ich das erste Mal ihren Namen gehört hatte, in jener Nacht in Frankreich – die Erscheinung von Schwarz und Weiß auf der Ebene dort, das Gefühl von namenloser Furcht und Bosheit ringsumher … Gab man etwas einen Namen, so rief man es ins Leben, beschwor man es herauf.
    Ich hatte es im Garten verspürt, als ich sie zu Hever im Garten bei den Weiden das erste Mal aufgesucht hatte und wir einander von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatten. An den Armen und im Nacken hatte ich ein gespenstisches, beunruhigendes Kribbeln gefühlt, und flüchtig hatte ich an übernatürliche Dinge denken müssen, und eine unvernünftige Angst war in mir erwacht.
    Abscheu in der Gegenwart des Bösen,
    Das war das Kennzeichen des Bösen: die Ahnung, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zu sein scheinen, und dass man mit etwas Bösartigem und Schädlichem in Berührung gekommen ist. Es veranlasst gesunde Menschen, davor zu fliehen, da es gefährlich ist, in seiner Gegenwart zu bleiben. Es ist dies ein gnädiger Schutz, den Gott uns gewährt: Wie er verdorbenem Fleisch einen fauligen Geschmack verleiht, so fügt er es, dass verdorbene Menschen uns »faulig« anmuten, auch wenn sie den anderen Sinnen, vor allem dem Auge, vielleicht angenehm sind.
    Ich war nicht der Einzige, der es wahrgenommen hatte. Das Volk insgesamt war von Anne abgestoßen worden. Die verstockte Weigerung der Menge, ihr am Tage der Krönung zuzujubeln, die Weibermeute, die sie im Haus am Fluss angegriffen hatte, das Landvolk, das ausspuckte, wenn sie vorüberritt, die Tatsache, dass sogar ihr Onkel Norfolk sie als »Großhure« bezeichnete … das alles wies jetzt auf die Wahrheit. Auf die Wahrheit, für die ich blind gewesen war.
    Aber es liegt ja in der Natur des Bösen, dass es uns verwirrt; das ist eine seiner Waffen gegen uns.
    Ich ließ mich auf eine Fensterbank sinken, um sogleich wieder aufzuspringen. Der zierlich geschnitzte Eichenholzsitz zeigte Ranken und Äste, die in die Initialen H und A verschlungen waren: Heinrich und Anne. Von Sinnen vor Liebe, hatte ich dutzende solcher Schnitzereien anfertigen lassen. Sie waren jetzt überall, auf den Möbeln meines inneren, privaten Zufluchtsortes wie auch auf der mächtigen Chorschranke in der Kirche zu Cambridge. »H und A« prangte überall in England.
    Der Ekel ist ein Beweis für das Vorhandensein des Bösen. Der wichtigste aber, das sine qua non, sind die Lügen. Das Böse verbreitet Lügen, wie ein Feuer Wärme verstrahlt. »Vater der Lügen« ist der älteste und treffendste Name für den Satan. Er frohlockt in der Lüge, er ist ein Künstler der Lüge, er konstruiert die subtilsten, delikatesten Lügen und bewundert dann sein Werk. Er lügt sogar dann, wenn die Wahrheit ihm bessere Dienste leistete, denn er schätzt die Lüge um ihrer selbst willen. Sein Stolz auf seine Lügen führt oft dazu, dass wir seiner Gegenwart

Weitere Kostenlose Bücher