Ich, Heinrich VIII.
unbefestigten Fahrweg entlang der Themse. Zu unserer Rechten standen die großen Häuser des Adels und der hochrangigen Prälaten. Lange, schmale Gärten führten hinunter zum Fluss und zu den Wassertoren, hinter denen Bootsstege lagen. Auf der anderen Seite des Flusses, zu Lambeth, konnte ich deutlich den Palast des Erzbischofs von Canterbury sehen; die verwitterten Ziegel schimmerten rosig in der Mittagssonne. Er stand für sich, aber nicht weit davon entfernt sah ich verstreut liegende Häuser und Läden. Southwark hieß diese Gegend, und ich wusste (von Skelton), dass hier im Schatten des erzbischöflichen Palastes und der Residenzen anderer Bischöfe zahlreiche Schänken und Herbergen, Vergnügungsgärten und Freudenhäuser gediehen. Ja, das Haus des Bischofs von Winchester stand so nah bei einem der größeren Lotterhäuser, dass die Frauen dort den Spitznamen »Winchester-Gänse« trugen. Offenbar war das Südufer des Flusses noch unentschlossen, ob es seiner wahren Natur nach heilig oder profan war.
Schließlich näherten wir uns Ludgate, und unvermittelt waren wir mitten in der Stadt. Es war nur noch ein kurzes Stück den Ludgate Hill hinauf bis zur St.-Pauls-Kirche. Vor dem Eingang zur Kathedrale hatte man einen erhöhten Holzsteg errichtet und mit einem weißen Teppich bedeckt, der sich über den ganzen Weg durch den breiten Mittelgang bis zum Altar erstreckte, wo ich Katharina an Arthur übergeben sollte.
Drinnen war es halb dunkel, und nach dem hellen Sonnenschein draußen konnte ich kaum etwas erkennen. Die Kathedrale erschien mir wie eine weite Höhle, und irgendwo in weiter Ferne sah ich einen goldenen Schimmer und flackernde Lichter. Das musste der Altar sein. Ich fasste nach Katharinas Hand; sie war kalt wie die einer Toten. Ich sah ihr in die Augen und entdeckte dort nichts als Angst. Das Gesicht unter dem weißen Schleier des Kopfputzes war bleich.
Ich sehnte mich danach, mit ihr sprechen zu dürfen, ihre Angst zu lindern, aber sie sprach nur wenige Worte Englisch; um mein Spanisch war es nicht besser bestellt, und das war nicht genug. Ich nahm ihre Hand in beide Hände und lächelte. Just als sie das Lächeln erwiderte, verkündete ein silberner Fanfarenstoß den Beginn der Prozession. Wir mussten zum Altar schreiten, und ich musste sie in Arthurs Hände geben. Er wartete, ebenfalls weiß gekleidet, eine fahle Motte in der Weite des großen Kirchenschiffs.
Das Hochzeitsbankett, das der Trauung folgte, war prachtvoll. Gewaltige Tische durchzogen die Halle zu Westminster in ihrer ganzen Länge und bogen sich unter goldenen Tellern und außergewöhnlichen Speisen – dreistöckige Burgen, Fasane, vergoldete Schwäne, Nachbildungen von Seen, lauter Schöpfungen der gewandten königlichen Tortenkünstler. Der spanische Botschafter begutachtete alles mit kritischem Blick. Ich sah ihn auf und ab wandeln und dabei so tun, als sei er mit der Auswahl seiner Speisen beschäftigt; in Wirklichkeit handelte es sich um eine umfassende Bestandsaufnahme für seinen Bericht an Ferdinand. Einmal sah er mir in die Augen und lächelte. Was ich über ihn dachte, brauchte ihn nicht zu bekümmern, denn ich war unbedeutend, ja, nicht vorhanden – wie er glaubte. Der französische Botschafter und der kaiserliche prägten sich ebenfalls alles genau ein. Ich sah, wie Vater sie von der königlichen Estrade herunter beobachtete. Er sah mit Befriedigung, dass all die Ausgaben ihm in den Berichten der Diplomaten zugute kommen würden.
Als der Hochzeitsschmaus zu Ende war, trugen Bedienstete die Teller ab und schleppten die Tafeln hinaus, um Platz zum Tanzen zu schaffen.
Ich hatte zwar keine formelle Ausbildung darin empfangen, aber ich liebte das Tanzen, und in der Abgeschiedenheit meiner Kammer hatte ich mir so manches davon selbst beibringen können. Jetzt hatte ich Gelegenheit, meine Fertigkeiten mit wirklichen Musikanten und wirklichen Partnerinnen zu erproben, und ich betete zum Himmel, dass ich mich nicht lächerlich machen würde.
Meine Gebete wurden erhört; die Schritte, die ich mich selbst gelehrt hatte, kamen mir gut zupass, und wenngleich ich mithilfe meiner Partnerinnen von Augenblick zu Augenblick dazulernte, stellte ich doch fest, dass ich vieles schon konnte. Ich tanzte eine Pavane, eine Basse Danse, gar einen Burgunder, einen schwierigen Tanzschritt. Bald musste ich mich meiner Jacke entledigen, weil mir so heiß wurde. Ich schleuderte sie in eine Ecke und hörte zu meiner Überraschung
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