Ich, Heinrich VIII.
gestehen, dass er es nicht wollte – nichts von alldem.
»Ich will nicht vor tausenden von Menschen diese Hochzeitszeremonie über mich ergehen lassen«, erklärte er mit zitternder Stimme, als er vor dem halbhohen Spiegel stand und nachdenklich sein Bild betrachtete, in den weißen Samtmantel gehüllt, in den er jetzt endlich, nach drei Jahren, hineingewachsen war.
»Nun, aber du musst, und fertig.« Ich riss ihm den gefiederten Hut vom Kopf, stülpte ihn mir selbst über und schnitt im Spiegel Gesichter. »Denk an das, was danach kommt.« Davon verstand ich etwas – auf eine wirre Art und Weise.
»Aber genau daran möchte ich nicht denken«, bekannte er leise.
»Dann lass es bleiben. Vielleicht ist es auch besser so.« Ich drehte mich hierhin und dahin und schaute, wie mir der Hut stand. Die aufgerollte Krempe gefiel mir nicht.
»Du weißt nicht …« Er brach ab und murmelte dann: »Gar nichts weißt du.«
Plötzlich war ich zornig. »Ich weiß, dass du Angst hast. Wovor, darauf kommt es nicht an. Und wenn andere sehen, dass du Angst hast, dann ist das schlecht für dich. Man darf es nicht merken, Arthur. Du darfst es dir nicht anmerken lassen.«
»Hast du denn nie Angst? Nein, ich glaube, du nicht …«
Ich musste ihm den Rücken zuwenden, denn sonst hätte ich ihm geantwortet: Ja. Ich habe oft Angst. Aber ich hatte schon früh gelernt, meine Angst zu tarnen, sie niederzukämpfen. Was sie in meinem Innern anrichtete, das konnte ich nicht beeinflussen. Aber ich war froh, dass Arthur glaubte, ich hätte niemals Angst. Es bedeutete, dass andere nicht merkten, was ich wirklich empfand.
Mit geübter Lässigkeit warf ich den Hut zu Arthur hinüber; ich zielte nach seinem Kopf und traf ihn haargenau: Der Hut landete mitten auf seinem Schopf. Ich hörte mich lachen, und ich hörte, wie er einstimmte.
Er glaubte, ich sei glücklich. Das genügte mir: Ein kleiner Triumph inmitten seines allgemeinen Sieges. Er schmeckte mir süß wie Honig, fast so gut wie ein körperreicher Wein. Für dessen Genuss ich noch zu klein war … so, wie ich zu klein war, um Prinzessin Katharina zu lieben.
Der vierzehnte November war ein klarer, warmer Tag – er fiel in den St.-Martins-Sommer, die letzte Sonnenfrist vor dem tristen Winter. Das warme Wetter würde die Menschen massenhaft herbeiströmen lassen, dachte ich und merkte überrascht, wie erfahren es mich wirken ließ. Tatsächlich war ich vor den Londoner Massen nicht mehr erschienen, seit ich sieben Jahre zuvor Herzog von York geworden war.
Ich musste Katharina von ihrer Behausung im Westminster Palace ostwärts nach London und in die St.-Pauls-Kirche eskortieren, wo sie Arthur heiraten würde. Sie durfte ihn erst sehen, wenn sie einander in der Kathedrale begegneten; alles andere hätte Unglück gebracht. So kam es, dass ich durch London reiten und die Jubelrufe hören sollte, die für Arthur gedacht waren.
Ich hatte für diese Gelegenheit einen neuen weißen Samtanzug bekommen. Katharina und ich würden auf Schimmeln reiten, und sie würde in Weiß und Silberbrokat gewandet sein, wie es einer jungfräulichen Braut zukam. Zusammen wären wir ein weißer Fleck auf der Straße, selbst für einen Kurzsichtigen noch hundert Schritt weit sichtbar.
Als sie auf dem prächtigen weißen Ross herausgeführt wurde und wir uns im Hof begegneten, hob ich den Arm und ergriff ihre Hand. Sie war noch schöner als in meiner Erinnerung, und auf ihren bleichen Wangen leuchteten zwei rote Flecken. Aufregung oder Angst? Ich umfasste ihre Hand, und sie verstärkte den Druck der ihren. Ihre Finger waren kalt. Also war es Angst.
Dann schwenkten die Palasttore auf. Vor uns erstreckte sich ein Meer von Menschen; manche warteten schon seit Tagesanbruch. Sie brachen in Jubel aus, als wir hinausritten, und warfen uns Herbstblumen entgegen. Ich sah, dass Katharina den Kopf einzog, aber mich erfüllte ein Glücksgefühl, und ich verspürte eine merkwürdige Regung in den Lenden. Ich liebte diese Blicke, die Menschen, die Jubelrufe, und von mir aus hätte dieser Ritt bis in alle Ewigkeit dauern können. Ich war dankbar, dass der Weg bis St. Paul so weit war.
London hatte mehr als hunderttausend Einwohner, behaupteten Vaters stets sorgfältige Zensusbeamte. Ich glaube, an diesem Tag waren sie alle auf der Straße, um uns zu sehen. Wahrhaftig, eine solche Menge von Menschen hatte ich mir nie vorgestellt. Und sie jubelten alle …
Die Straße nach St. Paul führte über den Strand, einen
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