Ich, Heinrich VIII.
stocksteif stehen. Dann erklärte er in trügerisch ruhigem Ton: »Ich bin der König in diesem Land, und in England gibt es kein solches Gesetz. Spanisches Gesetz aber hat hier keine Macht.«
Er ging neuerlich auf die Zeltklappe zu und schob den protestierenden Wächter beiseite. »Halten die Spanier mich für einen Narren?«, knurrte er. »Ich soll meinen Erben einem Weibe vermählen, das ich nie gesehen habe? Das vielleicht pockennarbig oder verkrüppelt ist? Ich will sie selbst sehen!«
Der letzte der Wächter unternahm einen halbherzigen Versuch, ihn aufzuhalten, aber Vater drängte an ihm vorbei und stürmte in das Zelt. Ich folgte ihm.
Wir waren in einen Harem geraten. Es war offensichtlich ein Weiberzelt; Frauenkleider und Toilettengegenstände lagen überall verstreut, und mehrere Zofen standen voller Unbehagen vor uns. Wir kamen uns riesig und schlammbespritzt und täppisch vor, umgeben von Tüchern und Kissen und Parfümflaschen.
Jetzt entstand Unruhe in dem von Schleiern verhangenen inneren Teil des Zeltes: Die Prinzessin erfuhr soeben, dass wir in ihr Privatquartier eingedrungen waren. Bestimmt würde sie gleich herauskommen und uns züchtigen. Ich sah sie schon vor mir: dünn und fahrig und schmallippig –
die vollkommene Braut für Arthur.
Ihre Stimme hörte ich, bevor ich sie sah; sie war leise und voller Liebreiz, nicht mäkelnd und zänkisch. Dann erschien sie, in einen Hausmantel gehüllt, das Haar noch unfrisiert und ohne jeden Schmuck; es fiel ihr in dichten, goldbraunen Wellen über die Schultern.
Sie war schön – wie eine Jungfrau im Morte d’Arthur, wie die schöne Elaine, die liebliche Enid. Oder wie Andromeda, die, an den Felsen gekettet, ihren Retter Perseus erwartete wie in jener Sage, die ich gehorsam übersetzt hatte. All die Heldinnen der Literatur erwachten für mich zum Leben, als ich Katharina anstarrte.
Was soll ich sagen? Ich liebte sie, dort, in diesem Augenblick. Zweifellos wird man nun sagen, ich sei nur ein Knabe gewesen, ein zehnjähriger Knabe, ich hätte noch nicht einmal mit ihr gesprochen, und es sei mir daher unmöglich, sie zu lieben. Aber ich tat es. Ich tat es! Ich liebte sie mit einer jähen Woge der Hingabe, die mich völlig überraschte. Ich starrte sie an, und ein zweites unbekanntes Gefühl packte mich: eine tiefe Eifersucht gegen Arthur, der sie für sich haben würde.
Und jetzt musste die Verlobungsfeier vorbereitet werden. Ich sollte Arthur vertreten und an seiner statt bei der Zeremonie zugegen sein, in der sie einander versprochen wurden, und ich glaubte, ich würde es nicht ertragen.
Aber ich ertrug es. Am nächsten Morgen standen wir Seite an Seite und sagten vor einem Priester in ihrem Zelt öde lateinische Gelöbnisse auf. Katharina war zwar schon fünfzehn, aber sie war nicht größer als ich. Wenn ich den Kopf nur ein wenig drehte, konnte ich ihr geradewegs in die Augen sehen.
Ich merkte, dass sie mich ständig anschaute, und es bereitete mir Unbehagen. Aber dann erkannte ich ihren Gesichtsausdruck, und ich begriff, was sie da sah. Getäuscht durch meine frühe Größe und meine breite Brust, betrachtete sie den Zweitgeborenen und sah, was bis dahin noch keiner gesehen hatte: einen Mann. Sie sah mich als Mann, und sie war die Erste, die das tat. Und auch dafür liebte ich sie.
Aber sie gehörte Arthur. Sie würde seine Gemahlin werden, und er würde König sein. Ich nahm es hin, ohne es infrage zu stellen – wenigstens glaubte ich es. Können geheime Wünsche – so geheim, dass man selber sie nicht kennt – Wahrheit werden? Ich stelle diese Frage, aber ich will die Antwort nicht wissen.
Die Hochzeit wurde für den vierzehnten November angesetzt, und man erwartete, dass Arthur innerhalb eines Jahres einen Erben hervorbringe. Der König sagte es nie, aber ich hörte die Witze und Bemerkungen der Diener (sie pflegten vor mir kein Blatt vor den Mund zu nehmen, als wäre ich schon ein Priester). Sie alle wollten bis zum Weihnachtsfest des folgenden Jahres ein Kind sehen – ja, sie glaubten, ein Anrecht darauf zu haben.
Für jemanden, der die Last einer so gewaltigen Verantwortung zu tragen hatte, zeigte Arthur auffallend wenig Begeisterung. Je näher der Tag der Hochzeit kam, desto lustloser wurde er. Er schrumpfte; er schwand dahin; es war klar: Er wollte nicht heiraten. Eines Tages kam er zu mir in meine Kammer, vorgeblich, weil ich ihm bei der Anprobe seiner neuen Kleider helfen sollte, in Wahrheit aber, um zu weinen und mir zu
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